Der Mensch kann nicht leben ohne zu knien. Fjodor Dostojevskij

Im Gegensatz zu Tieren, denen nichts anderes übrig bleibt als sich mit ihrem Dasein abzufinden, ist der Mensch ein zwar hoffungsfrohes, jedoch auch grüblerisch veranlagtes, von Zweifeln und Selbstzweifeln geplagtes, zutiefst verunsichertes Wesen. Das daher seit jeher schon ein Bedürfnis empfand zu höheren Wegweisern emporzublicken. Die richtungsweisend aus Verlorenheit, einengenden Zwängen und Notlagen herausragen. Im Bestreben sich angesichts menschlicher Unzulänglichkeiten an Großem, Mächtigem und Unvergänglichem innerlich aufzurichten, darf der Ursprung religiöser Gefühle erkannt werden. Das lateinische Wort religio bezeichnet ja ursprünglich Verhaltensweisen, die beim Umgang mit höheren Mächten als angemessen erscheinen müssen. Aus denen sich dann nach und nach “religiöse” Formen der Verehrung jener Kräfte entwickeln, die gemeinhin als göttlich bezeichnet werden. Und von denen

geglaubt wird, dass sie in die Geschicke des menschlichen Lebens einwirken. Der Glaube an Höheres setzt freilich eine angemessene Unterwürfigkeit voraus, um sich der Kraft des Verehrten würdig zu erweisen. Der Glaube bewirkt somit ein hierarchisches Gefälle, in dem sich die Gläubigen den unmissverständlichen Erwartungen einer gestrengen Überwelt ausgeliefert sehen. Vereinfachend und stellvertretend für alle theistischen Religionen gesagt; wer an Gott glaubt, muss auch bereit sein gottgefällig zu leben.

An was aber wird heute wirklich geglaubt? Woran richtet man sich innerlich auf? Worin wird Erbauung, Zuflucht und Lebenssinn gesucht? Man wird bei diesen Fragen nur noch mit großen Vorbehalten auf monotheistische Weltreligionen hinweisen wollen. Deren Glaubensinhalte die unbedingte Bejahung eines jenseitig waltenden Gottes zur Voraussetzung haben. Engt man jedoch den Blick auf unseren Kulturkreis ein, wird eine historisch neuartige Innerlichkeit sichtbar. Die Formen eines neuen Glaubens, ja sogar einer neuen Weltreligion angenommen hat.

Ein erster Hinweis auf ihre Existenz ist daran bemerkbar, dass die Lehre der Kirche von leeren Kirchen abgelöst wurde. Wobei der Unterschied zwischen leeren Gotteshäusern und jener massenhaften Ergriffenheit ins Auge fällt, die vor den Schaufenstern der Geschäfte herrscht. Um es aber gleich vorwegzunehmen; es soll hier keine Variante der vulgären These vom Konsum als Ersatzreligion vorgestellt werden. Die auch noch nie ausreichend begründet wurde um ernst genommen zu werden.

Allerdings ist zu bedenken, dass in unserem Kulturkreis das Heilige (Sakrale), längst schon vom Glanz des Profanen (Säkularen) verdrängt wurde. Zwar bekunden Politiker bei festlichen Anlässen nach wie vor ihre Verbundenheit mit dem christlichen Erbe. Im Namen Gottes werden auch immer noch Tote beerdigt, und Fußballer lassen sich nach geglücktem Torschuss, wie der Macht des Himmels dankend, auf den Rasen fallen. Aber das bedeutet keineswegs, dass im modernen Leben noch irgendetwas unmittelbar aufs Göttliche bezogen wäre. Jedoch ist beim Konsum eine Sakralisierung durchaus erkennbar. Insofern, weil sich das frühere Bedürfnis nach innerer Gemeinschaft mit Gott, heute im Wunsch nach individueller Selbstvervollkommnung und Lebensbereicherung durch käufliche Dinge äußert.

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Verzückendes, zu dem man einfach nicht nein sagen kann

Die nun folgenden Überlegungen zum sakralen Charakter von Waren und Dienstleistungen orientieren sich an einer Bemerkung von Emil Cioran (1911 – 1995); einem rumänischen Philosophen und Essayisten. Der in der 30er Jahren nach Paris zog und dort bis zu seinem Tod in einer winzigen Dachgeschosswohnung lebte. In seinen Syllogismen der Bitterkeit gelingt dem Sohn eines orthodoxen Priesters nichts Geringeres als eine treffende Analyse der Attraktivität des Religiösen. Die, wie sich gleich herausstellt, bei entsprechender Beleuchtung problemlos auf den Bereich des Marketing übertragen werden kann:

…wie leicht fiele es eine Religion zu gründen! Es würde genügen den Schaulustigen zu gestatten, sich um unsere geschwätzigen Verzückungen zu scharen.

Was Cioran im Hinblick auf Religion als “geschwätzige Verzückungen” umschreibt, sind ergreifende Verlautbarungen zur segensreichen Allmacht höherer Mächte. Ihre Verkündung gleicht einem Angebot, das auf die Nachfrage Glaubenswilliger ausgerichtet ist. Wobei das  Angebot einen “verzückenden” Attraktivitätswert beinhalten muss. Falls es den Geschmack der

Menge trifft, strömt sie zusammen um sich um das Angebot zu scharen. Bei der katholischen Heiligen Messe, um ein naheliegendes Beispiel zu nennen, versammeln sich Gläubige um den geistlichen Stand. Der den “Schaulustigen” den Rücken zukehrend, und in seinem Geschwätzhimmel entrückt, dem Kirchenlatein, routiniert seine Verzückungen äußert. Die den meisten Anwesenden unverständlich sein dürften und trotzdem ein attraktives Angebot darstellen. Und zwar deshalb, weil die weihrauchumwehte Darbietung, technisch gesprochen, der Erzeugung eines sakralen Spezialeffekts gleichkommt.

Freilich ist hier zu berücksichtigen, dass Dinge des Glaubens grundsätzlich nicht verstanden, sondern einfach nur erlebt werden wollen. Des Kirchenvaters Tertullians (160 – 220) radikales Bekenntnis: credo, qua absurdum est: ich glaube weil es widersinnig ist, illustriert die Beweggründe zur Annahme des infragekommenden religiösen Angebots. Es besteht darin, dass der Glaube an die Menschwerdung Gottes, Kreuzestod, Auferstehung und Himmelfahrt nur als krasser Widerspruch zu jeglicher Vernunft echt und erlebbar sein kann.

Wer nun fragt was das alles mit Autos, Uhren und Parfüms zu hat darf sich daran erinnern, dass auch der Erwerb von vielerlei Waren und Dienstleistungen ohne die bewusste Ausschaltung der Vernunft niemals zustandekommen würde. Oder, um mit Tertullian zu sprechen: ich kaufe weil es widersinnig ist.

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Vom Namen Gottes zum Markennamen. Oder, von der Wahrheit des Glaubens zur Illusion des Realen

Nirgendwo tritt dieser Widersinn deutlicher zutage als auf Automessen. Die dabei vorgestellten Autos sind Angebote, die nicht aus eigenen Stücken auf den Markt fahren können, sondern, um die gewünschte Neugier, bzw. Nachfrage hervorzurufen, erst einmal in dafür geeigneten, überzeugungstarken Zusammenhängen zum Reden gebracht werden müssen. Liegt auch das

Auto selbst als individuelles Verkehrsmittel in seinen letzten Benzin-Zuckungen, wird es auf Messen mit nichtsprachlichen Varianten jener geschwätzigen Verzückungen präsentiert, die notwendig sind um Schaulustige um sich zu scharen.

Autos sind entzückende Persönlichkeiten auf vier Rädern. Die Internationalisierung der Produktionsstandorte, sowie vollautomatisierte Fertigungsstraßen haben Autos und andere Erzeugnisse keineswegs anonymisiert. Im Gegenteil, da es in der heutigen industriellen Produktion keine nennenswerten Qualitätsunterschiede mehr gibt, werden nunmehr ästhetische Aspekte wie Design und Image als Kaufanreize in den Vordergrund gestellt. Wodurch die in wirtschaftlicher Hinsicht entgegengesetzten Standpunkte zwischen Produzent und Konsument in ein Verwandtschaftsverhältnis schöner Seelen aufgehoben werden. Was durchaus wörtlich verstanden werden darf.

Normalerweise wird ja nur Menschen, Tieren und Pflanzen die Eigenschaft zugesprochen eine Seele zu haben. Je mehr aber Tiere aussterben, die Natur zerstört wird, Beziehungen in Seelenlosigkeit erstarren und alten Religionen nichts Seelsorgerisches mehr abgewonnen werden kann; desto mehr werden in käuflichen Dingen wahre Seelenfreundschaften gesucht und auch gefunden.

Konsumenten wollen heute keine Verbraucher oder Bedürfniswesen sein. Sie wollen auch nicht irgendwelchen “Zielgruppen” angehören. Moderne Konsumenten wollen Erworbenes als Selbstergänzung und individuelle Lebensbereicherung empfinden. Was teilweise auf eine Abwendung von Dingen wie Kleinfamilie, Staat und Kirche zurückgeführt werden kann. Eine Abwendung, die gleichzeitig mit einer Hinwendung zu mehr emotionaler Intensität beim Erleben von Gekauftem einhergeht. Bezeichnenderweise ist das Zeitalter von Staubsaugern und Heizdecken vorbei. Man will heute nicht mehr Waren sondern Werte. Und diese Werte haben einen jeweiligen Namen. Vor allem aber ein Bild, das mit dem Namen einhergeht.

Mit dem Image einer Sache ist die Summe von Ideen, Bildern, Gefühlen und Vorstellungen gemeint, die ein BMW, eine GUCCI Handtasche, oder ein CHANEL Parfüm vermitteln. Man könnte mit Image auch das bezeichnen, was derartige Dinge auratisch umgibt. Wer kauflustig durch

die Duty Free Shops der großen Flughäfen schlendert, verhält sich beim Griff zu industriell gefertigten Produkten deshalb nicht mehr wie Bedarfskonsumenten am Hemden-Wühltisch der alten Kaufhäuser. Was potentielle Kunden wohlwollend, und zuweilen geradezu ehrfürchtig in die Hand nehmen, sind Illusionen absoluter Einmaligkeit. Die sich als Partner für geistig-seelische Gemeinschaftserlebnisse empfehlen. Und damit zurück zu Gott.

Anbetung (lat. adoratio) ist die staunende Bewunderung und liebevolle Verehrung Gottes. Die im Namen des Herrn zum Daseinserfolg und zur Ichwerdung verhilft. Als Markenanbetung wäre davon ausgehend die Bewunderung und Verehrung von prestigeträchtigen Markennamen, sowie die innere Horizontverschmelzung mit dem Image der jeweiligen Sachen zu bezeichnen. Man könnte hier einwenden, dass derart verstandene Markenanbetung zwar durchaus als säkularer Kult betrachtet werden kann, dem allerdings ein sakraler Überbau fehlt. Den gibt es jedoch.

Wenn man sich darauf einigt, dass menschliche Liebe zu Gott “ein am-Du-zum-Ich-werden” ist, ist Markenanbetung die Ichwerdung am Du liebevoll verehrter Dinge. Die einem, so wie einstmals der verständnisvoll zugeneigte alte Gott, mittels ihrer Ausstrahlung ein Ich und Weltverständnis schenken. Wenn ich beispielsweise auf meine ROLEX nicht wie auf eine Uhr, sondern, sozusagen vorschriftsmäßig, wie auf einen heiligen Artefakt schaue, werde ich am Du ihrer Innerlichkeit zum Ich. Und wenn ich sehe, dass andere sehen was ich habe und woran ich werde was ich bin, habe ich einen höheren Lebenssinn gefunden. Ein anderes Wort für Anbetung ist latria, so dass die religiöse Dimension der hier angedeutete Sache auch als Imageolatry bezeichnet werden kann.