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Schwarz wird so lange in Mode sein, bis eine dunklere Farbe erfunden wird.
…Denn sie wissen nicht, was sie tun (Rebel Without A Cause) ist ein amerikanischer Film aus den 50er Jahren, in dem ein rebellischer James Dean genau weiß was er tut. Der jugendliche Held kämpft in einer fremden Stadt um Anerkennung und Liebe. Sein Durchsetzungsvermögen verkörpert der betont unangepasste junge Mann in einer schwarzen Lederjacke. Die ihn als einen zu erkennen gibt, der jenseits gängiger Konventionen in der Lage ist sein eigenes Ding zu machen. Mit diesem Film wurde
James Dean zum unsterblichen Ausnahmestar, und seine schwarze Lederjacke zum Ausnahme-Outfit für rebellische Selbstdarstellungen.
Wofür andere Kleidungsstücke, wie etwa ein Anzug oder eine Jogginghose, eigentlich kaum in Betracht kommen. Immerhin hängt in Gestalt schwarzer Lederjacken im wahrsten Sinne des Wortes an den Oberkörpern ihrer Trägerinnen und Träger etwas schwarz Tierisches. Von dem bei wohlwollender Betrachtung angenommen werden muss, dass seine ungezähmte Natur nicht nur aufs Herz, sondern auch auf ein unterhalb der Gürtelline gelegenes Körperteil abfärbt.
Allerdings ist aus der ehemals heißen Jacke für gut aussehende Unangepasste ein schlaffes Jäckchen geworden. Eine Sache für all diejenigen, die den Eindruck erwecken wollen bestens liefern zu können, dazu aber keineswegs in der Lage sind. Die schwarze Lederjacke ist heute das obligatorische Bekleidungsstück für gezähmte Marionetten einer Geschmacksdiktatur. Sie hängt gleichsam als schwarze Zwangsjacke in den Kleiderschränken von Leuten, die
ernsthaft glauben, ausgerechnet in schwarzem Leder sich aus der Immerschwärze einer beinahe nur noch schwarz gekleideten Gesellschaft absondern zu können.
Schwarze Kleidung ist so gesehen die ehrliche Haut von Menschen die mutig genug sind zuzugeben sich nicht zu getrauen etwas anderes anzuziehen. Und in dieser Haltung von einer Bekleidungsindustrie bestärkt werden, die in einem messianischen Tonfall nie müde wird Schwarz als Erkennungsmerkmal erlesener Geschmackskompetenz, ja sogar als alternativlos anzupreisen. Was die Frage aufwirft, weshalb Schwarz, obwohl es sich dabei ja genau genommen nicht um eine Farbe handelt, eine derart dominierende Modefarbe ist. Zumal Leute bei Umfragen zu ihrer Lieblingsfarbe erstaunlicherweise immer wieder angeben, dass dies, je nach dem, entweder Blau, Gelb, oder Rot wäre.
Schwarz angezogen zu sein war allerdings schon immer etwas besonderes, das sich früher nur wenige leisten konnten. Die Herstellung eines intensiven Schwarz, das aus Galläpfeln gewonnen werden musste, war mühsam und kostspielig. Wenn daher Benediktiner-Mönche im frühen Mittelalter in Schwarz in Erscheinung traten, dann nicht um selbstkritisch der Dunkelheit ihrer sündigen Seelen gerecht zu werden. Wohl aber um sich von den ungefärbten Wollstoffen gewöhnlicher Leute abzugrenzen. Die schwarz gekleideten Gottesmänner bekundeten damit soziale Besserstellung und Kultiviertheit.
Man erkennt an dieser ästhetischen Absonderung ein ewiges Grundprinzip der Mode. Mode ist eine mit Kosten verbundene Kostbarmachung der äußeren Erscheinung. Und zwar deshalb, um sich von anderen selbstwertsteigernd abzugrenzen. Die Selbstsicherheit verleihende Gewissheit von anderen im Hinblick aufs Äußere anerkennend gesehen zu werden, war noch nie umsonst zu haben. Schwarze Kleidung war früher der teuerste, zugleich aber einfachste und eleganteste Weg in die Augen der Umwelt. Weshalb im Zeitalter des Bürgertums gerne schwarze Hochzeitskleidung getragen wurde. Die es den Leuten ermöglichte, auch nach der Hochzeit bei anstehenden Festlichkeiten bestens dazustehen.
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Schwarz als ästhetische Brücke zwischen Erotik und Tod
Modetheoretische Erörterungen über schwarze Kleidung müssen oberflächlich verbleiben, solange die Bedeutung von Schwarz im Hinblick auf Erotik und Tod nicht berücksichtigt wird. In christlicher Farbsymbolik steht Schwarz seit dem späten Mittelalter für Tod und Trauer. Es war jedoch die englische Königin Victoria (1819 -1901), die Schwarz in der westlichen Welt als modisch verbindlichen Trauer-
Dress-Code etablierte. Die Königin trug nach dem frühen Ableben ihres geliebten Ehemanns Prinz Albert (1819 – 1861), bis zu ihrem eigenen Tod nichts anderes als immer nur schwarze Kleidung.
Königin Victoria wurde zum Vorbild für alle Frauen, die nach dem Tod ihrer Männer gesellschaftliches Leben so weit wie möglich meiden, und sich entsprechend zurückhaltend kleiden. Nicht zuletzt auch um jegliche Gedanken an weibliche Attraktivität auf Abstand zu halten. Bezeichnenderweise wird es nach wie vor als unschicklich empfunden, wenn Frauen gleich nach dem Tod ihrer Männer in modischer Hinsicht signalisieren nunmehr wieder auf dem Markt zu sein.
Man sollte freilich auch meinen, dass Männer, die ausgerechnet bei der Beerdigung von Freunden oder Kollegen beim Anblick junger Witwen von horizontalen Gedanken übermannt werden, um psychiatrische Behandlung nachsuchen sollten. Und einer trauernden Frau an die Brust zu fassen, muss bestimmt ganz weit jenseits noch so verwerflicher Entgleisungen angesiedelt werden. Ausgerechnet aber das tat der 20-jährige Marcel Reich-Ranicki (1920 – 2013), als er 1940 im Warschauer Ghetto eine Wohnung betrat, in der ein Mädchen um ihren Vater weinte, der sich soeben erhängt hatte.
…aber mir fiel nichts anderes ein, als den Kopf der Verzweifelten zu streicheln und ihre Tränen zu küssen…Ich fasste sie plötzlich an, griff zitternd nach ihrer Brust. Sie zuckte zusammen, aber sie sträubte sich nicht.
Was wie die Beschreibung eines Dachschadens anmutet, ist bei genauerer Betrachtung in Wirklichkeit die normalste Sache der Welt. Neigen wird doch dazu uns im Angesicht des Todes am Leben selbst aufzurichten. Indem wir uns im Bewusstsein seiner Vergänglichkeit gegenseitig zwar traurig und doch liebevoll umarmen. Falls dabei, wie beim jungen Marcel Reich-Ranicki, eine erotische Komponente überfallsartig mitspielt, will folgendes bedacht sein: Dass Erotik im Grunde genommen nichts anderes als eine starke Willensbekundung zum Leben
und damit zur Überwindung des Todes ist. Womit das ontologische Fundament einer seit jeher schon in allen Kulturen geäußerte Verbindung zwischen Liebe und Tod erkennbar wird.
Wenn junge Witwen am Grab ihrer Männer bei männlichen Trauergästen Hormonverirrungen verursachen, ist das allerdings auch auf ihre schwarze Kleidung zurückzuführen. Die gängigen Konventionen zufolge eben nicht nur mit Tod und Trauer in Verbindung gebracht, sondern auch als Zeichen erotischer Aufgeschlossenheit gedeutet wird. In einem amerikanischen Benimmbuch von 1855 ist dazu folgendes zu lesen:
Schwarz sieht gut aus, und junge Witwen – lieblich, kindlich lächelnd, aber mit einem schalkhaften Glitzern in den Augen unter ihren schwarzen Schleiern – sind verführerisch.
Es auszusprechen mag auch im nachhinein taktlos erscheinen, aber man wird kaum umhin können in Jaqueline Kennedy (rechts) die verführerischste Trauernde aller
Völker und Zeiten zu sehen. Was frivol dahergeredet erscheint, offenbart bei näherer Betrachtung jedoch eine abgründige, und geradezu erschreckende Dimension. Die gleichsam in einer Black-Box eingeschlossen ist und ungern geöffnet wird. Männer denken nämlich gemeinhin nicht daran, dass jeder erotisch begehrende Blick auf Frauen im Grunde genommen stets ein Blick zurück zur eigenen Herkunft, wie auch ein vorausschauender Abschied vom Leben ist.
Wir können weder unsere Zeugung noch unseren Tod erleben, dennoch nehmen Männer, so grotesk sich das auch anhört, beim geschlechtlichen Eindringen in Frauen ihren eigenen Tod vorweg. Ist doch das triebhaft bedingte Zurück des Mannes in den Zeugungskanal, in den fleischlichen Nährboden der Gattung, zugleich die symbolische Vorwegnahme der Grablegung. Die den Toten aus der Gemeinschaft noch Lebender zurück in den unablässig aufs neue gebährenden Nährboden der terra mater führt.
Es ist daher nicht erstaunlich, wenn Grab und Mutterschoß in alten Mutterreligionen als miteinander identisch augefasst werden. Auch Georg Simmel spricht in seiner “Transzendenz des Lebens” von einer tiefen Beziehung, die man seit jeher schon zwischen Zeugung und Tod empfindet; “als bestünde zwischen ihnen eine Formverwandtschaft” Die, wie hinzuzufügen wäre, durch die Modefarbe Schwarz ein ästhetisches Verwandtschaftsverhältnis erhält.