“Es wohnt der Mensch, so lange er lebt.” Mit dieser philosophisch anmutenden Feststellung bewirbt ein niederösterreichischer Malereibetrieb seine Dienstleistungen. Tatsächlich verbringen die meisten von uns den größten Teil der Lebenszeit in Wohnungen. Wobei jedoch Betrachtungen philosophischer Art und Bedeutung über das Wohnen weitgehend unterbleiben. Wohnen selbst ist ja eine Sache des Alltags. Die hauptsächlich praktische Herangehensweisen erfordert. Eine Philosophie des Wohnens; die Frage wo man sich befindet, wenn man wohnt, mag daher zunächst einmal als unangebracht erscheinen. Allerdings nur so lange man nicht bedenkt, dass wir beim Wohnen von Möbeln umgeben sind. Die tagein und tagaus stumm an ihnen zugeordneten Stellen stehen. Was aber bedeuten uns unsere Wohnungseinrichtungen? Bedeuten sie uns überhaupt etwas? Das kommt darauf an wen man fragt.

Von jüngeren Menschen hört man häufig, dass sie gar keine Möbel haben und auch nicht beabsichtigen sich welche anzuschaffen. Tatsächlich braucht man keinen Schrank um seine Klamotten aufzuhängen. Dazu genügt eine Schnur. Und man braucht auch nicht unbedingt ein Bett. Ein bequemes Nachtlager kann nach Beduinenart schnell und einfach auf dem Boden errichtet werden. Das ist nicht unklug. Was man nicht hat, braucht man bei einem Umzug nicht mit sich herumschleppen. Das einzige was man wirklich braucht sind vier Wände um sich herum und ein Dach über dem Kopf. Wer das nicht hat, wer nicht bedacht ist, ist bezeichnenderweise obdachlos. Die vordergründige Funktion des Wohnens besteht somit in einem Hausen, das hinreichend Schutz vor Witterung und bösen Menschen gewährt. Wie man wohnt oder wo man gerne wohnen möchte, ist eine davon unabhängige, wenngleich von finanziellen Mitteln abhängige Geschmacksfrage.

Mit der sich allerdings Menschen nicht beschäftigen können, die das Schicksal in Institutionen untergebracht hat, oder zeitweise hinter Gittern wohnen müssen. Gefangene würden auf die Frage wie sie eingerichtet sind, achselzuckend auf Bett, Stuhl, Schrank, Regal, Waschbecken und

 

eine freistehende Toilette zeigen. Womit ihnen auf kleinstem Raum Einrichtungsgegenstände für ein küchenloses “Wohnklo” zur Verfügung stehen. Am Tag der Freilassung geben Gefangene damit gewissermaßen “ihre” Einrichtung an andere weiter.

Man erkennt daran das Prinzip eines Übergabevorgangs, der vor noch nicht allzu langer Zeit auch im ganz normalen bürgerlichen Leben vorherrschend war. Es ist ja noch gar nicht so lange her, dass Eltern ihre Möbel, die sie oft selbst schon von ihren Eltern übernommen hatten, an ihre Kinder weitergaben. Womit die Hoffnung verbunden war, dass alles was man selbst einmal dankbar empfangen hatte, auch im Dasein der Nachkommen von Nutzen sein würde. Daher ist es nur natürlich, wenn der Gedanke sich vom elterlichen Mobiliar zu trennen mit Wehmut und Gewissensbissen einhergeht. Selbst wenn das meiste davon nach und nach außer Haus kommt,  bleibt doch meistens eine alte Kommode. Die frisch lackiert die Funktion eines Hausaltars einnimmt. Auf dem die Bildnisse aus der Familie Wohnungsinhaber einen Ehrenplatz erhalten.

Man denkt heute kaum noch daran, dass die Anschaffung einer Wohnungseinrichtung bis zum Anfang des vorigen Jahrhunderts eine eher teure Angelegenheit war. Die von Möbelschreinern für die Mittelklasse an aufwärts wie maßgeschneidert auf individuelle Bedürfnisse angefertigt wurde. Zu ihrem ästhetischen Erscheinungsbild wäre verallgemeinernd zu sagen, dass ihre

massive, dunkelbraune Klobigkeit einer damals vorherrschenden Starrheit der Lebensformen entsprach. Möbel aus dieser Zeit erscheinen wie albtraumhafte Manifestationen einer in Holz verewigten teutonischen Schwermut.

Dass man auch ganz anders wohnen kann, wird auf Bildern des schwedischen Malers Carl Larsson (1853-1919) ersichtlich. Dessen Werke auch in Deutschland bekannt waren, und auf damalige Betrachter wie Visionen aus einer schönen neuen Zukunft des Wohnens wirkten. Statt

dunkler, todtrauriger Möbel-Düsternis sieht man auf Larssons Bildern ein in Helligkeit, Farben und fröhlicher Funktionalität beschwingtes Wohnen. Der Maler gilt übrigens als Mitbegründer der schwedischen Wohnkultur. Die danach strebte, gefällige zweckdienliche Formgebung nicht nur für Wohlhabende, sondern auch finanziell schwächere Schichten erschwinglich zu machen. Eine Ambition, die von schwedischen Sozialdemokraten als “demokratisches Design” bezeichnet wurde, und 1943 von Ingvar Kamperyd, dem Gründer von IKEA, unbeabsichtigt zu einer globalen Wohn-Uniform, zum im wahrsten Sinne des Wortes uniformierten Wohnen umfunktioniert wurde.

Fast-Fashion aus Holz

Menschen auf IKEA Werbefotos erwecken den Eindruck, als ob sie durch beglückende Umstände den beneidenswerten Zustand einer inneren Ausgeglichenheit mit sich selbst und der Welt erlangt hätten. Man sieht, wie sie stiller Zufriedenheit vor sich hinlächelnd in blitzsauberen Küchen mit eifrigst engagierten Kindern gemeinsam kochen. Wie sie einem mild verklärenden Licht mit angenehm plaudernden Freunden und Bekannten aus betont multikulturellem Umfeld wohlschmeckende Mahlzeiten genießen, und zwischen brennenden Kerzen auf bequemen Sofas sitzend schöne Abende ausklingen lassen. Wohnungseinrichtungen von IKEA machen glücklich. Und da das Happy End untrennbar zu Hollywood gehört, ist der IKEA Katalog als Ausmalung von häuslichem Lebensglück so etwas ähnliches wie ein Hollywood für den Hausgebrauch.

Erinnern wir uns vor einem Rundgang im IKEA Möbelhaus ans unternehmerische Konzept von Fast-Fashion. Deren Waren nach dem Motto: “einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul” aussschließlich nach dem Preisschild beurteilt werden. Wer bei ZARA und H&M was zum

Anziehen sucht, kauft nicht weil es gefällt, sondern billig ist. Nach ästhetischen Gesichtspunkten zu wählen wäre ja auch vollkommen sinnlos, da infragekommende Kleidungsstücke alle gleich aussehen. Falls man Mode dem Phänomenbereich des Schönen zuordnet, wird man nicht umhin können in Fast-Fashion den Auftritt ihrer hässlichen Stiefschwester zu sehen.

Wirtschaftliches Überleben von H&M und andere Handelsketten ist schließlich auch nur dadurch gewährleistet, indem etwa jeden Monat mit neuer Billigst-Kleidung über die Hässlichkeit ihrer Angebote hinweggetäuscht wird. Mit Fast-Fashion Bekleidete treten damit zwangsläufig als moderne Nachfahren des Marxschen “Lumpenproletariats” in Erscheinung. Und wie zum Beweis, gewissermaßen in Sack und Asche gekleidet zu sein, wird trotz riesiger Auswahl im Schrank ständig darüber gejammert, “nichts zum Anziehen” zu haben. Das stimmt auch! Wer jede Woche was für 12.99 Euro kauft, hat schon recht bald eine depressiv stimmende Lumpensammlung zu Hause. Die wahnwitzige Lösung aus dieser Verlegenheit besteht im Wegwerfen kaum bis überhaupt nicht getragener Kleidung, bei gleichzeitiger Neuanschaffung von genau den gleichen grauenhaften Fetzen die in die Mülltonne kamen.

Sehen wir eingedenk dieser stofflichen Ernüchterung im IKEA-Möbelhaus großzügigst darüber hinweg, dass es sich bei Produkten der unteren Preisklasse um zusammenschraubbare Ärgernisse handelt. Durchkrachende Betten und ausgebrochene Regalhalterungen sind die Regel. Aber das macht nichts! Der Erwerb solcher Dinge steht ja ohnehin nicht mit einer längerfristigen Lebensplanung in Verbindung. Das ist auch gar nicht möglich. Schließlich können noch nicht einmal Wissenschaftler oder Staatspräsidenten sagen, ob es die Welt wie wir sie kennen, in drei oder fünf Jahren überhaupt noch gibt. Selbst wenn sie sich nicht grundlegend verändern sollte, ist ganz bestimmt nicht auszuschließen, dass bis dahin private und berufliche Veränderungen eintreten.

Paarbeziehungen, um nur das kurz zu erwähnen, sind eine Sache mit begrenzter Haltbarkeit. Wenn frisch verliebte Paare bei IKEA zusammen etwas kaufen, ist das mit jener berühmten an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit der Anfang vom Ende der Liebe. So dass mit dem Ende einer seriellen Monogamie immer auch der Anfang zu einem Möbelwechsel verbunden ist. Wer auf der Karriereleiter nach oben zu kommen will, sollte zum Wechsel des Wohnorts bereit sein. Es kommt also darauf an, auf jederzeit mögliche Partner- Berufs- und Wohnortwechsel flexibel reagieren zu könen. Opas riesige Schrankwand aus deutscher Eiche wäre dabei ein

Klotz am Bein. Bei IKEA gibt es ähnliche, leichtere und vor allem leicht wieder loszuwerdende Gegenstände für die Wand.

Wenn IKEA aufmunternd vorschlägt sich öfter mal Stil-und Möbelwechsel zu gönnen, bleibt die Tatsache unerwähnt, dass eben diese Wechsel wechselhaften Lebensverhältnissen geschuldet sind. Um nicht davon zu reden, dass ebenso wenig wie bei Fast-Fashion wirkliche Neuerungen überhaupt nicht im Angebot sind. IKEA behauptet zwar vollmundig ein gutes Auge für Design zu haben, jedoch hat Formgebung  noch nie eine bedeutende Rolle gespielt. Gestalterische Aspekte waren seit den Anfängen des Unternehmens nur dann von Bedeutung, wenn der Preis für die Möbelstücke gesenkt werden konnte. Grundlegend war und ist hierbei die bei Türenherstellern bewährte “Board on Frame” Technik. Wie bei Türen werden dabei auf beiden seiten eines Rahmens Hartfaserplatten angebracht. Außen hui und innen hohl!

Wer bei uniformierten Menschen anklopft, würde feststellen, dass in der Uniform überhaupt niemand zu Hause ist. Was in der Natur der Sache liegt. Schließlich ist die Uniform eines Polizisten nicht dazu da um der Individualität seines Trägers Ausdruck zu verleihen. Uniformierte haben sich individueller Eigenschaftslosigkeit ergeben. Das gilt auch dann, wenn Wohnen in einer Wohn-Uniform vonstatten geht.