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Nietzsches Methode des radikalen Verdachts und Inspektor Columbo

Kritische, oder gar fragende Blicke anderer Menschen werden im Alltag als unangenehm empfunden. Daher wird viel getan um nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, dass mit uns “etwas nicht stimmt”. Ein sauberes Auto, gepflegte Zähne, modebewusste Kleidung usw. gehören gemeinhin zu jenen Dingen, die einer möglichst vorteilhaft wirkenden Selbstinszenierung dienen. Das heißt, andere sollen das an uns sehen, was wir sie sehen lassen wollen.

Leute die uns so sehen, wie wir von ihnen gesehen werden wollen, sind uns am liebsten. Haben wir sie doch davon abgebracht näher hinzuschauen; zu fragen, ob unserer ganz normales äußeres Erscheinungsbild möglicherweise nur dazu dient, unsere Abgründe vor ihnen zu verbergen. So dass andere uns zwar sehen, aber nicht wissen was sie sehen. Tatsächlich ist Sehen nicht gleich Wissen. Sehen kann auch gleichbedeutend mit Unwissen sein. Das ist in der gegenwärtigen Tyrannei des Sehens sogar häufig der Fall. Und zwar immer dann, wenn allgemein akzepierte Meinungen entsprechende Sichtweisen prägen. Es unterbleibt dann ein Nachdenken darüber, ob es sich beim Gesehenen vielleicht um etwas ganz anderes handelt, als das was ständig dazu gesagt wird.

Um uns beim Sehen nicht von schon vorgeprägten Sichtweisen hinters Licht führen zu lassen, hat Friedrich Nietzsche einen kritischen Blickwinkel empfohlen, den er als Hinterfragen  bezeichnet. Wobei es sich um eine hermeneutische Methode des radikalen Verdachts  handelt. Nietzsche erweckt ja gelegentlich den Eindruck mit seinem niemals nachlassenden, und auch immer

verblüffend treffsicheren psychologischen Spürsinn so etwas wie ein Inspektor Columbo der Philosophie zu sein. Bezeichnenderweise wird uns im Aphorismus 523 der Morgenröte ein geradezu kriminalistisch anmutendes Verfahren zum hinterfragenden Sehen nahegelegt, das auch vom Mann mit dem zerknautschten Trenchcoat stammen könnte.

Bei allem was ein Mensch sichtbar werden lässt, kann man fragen: was soll es verbergen? Wovon soll es den Blick ablenken? Welches Vorurteil soll es erregen?

Betrachten wir als Einstimmung in islamische Bekleidungsgesetze für Frauen mit dieser Methode zunächst einmal das biblische Feigenblatt. Es ist ja fürs Auge gemacht. Allerdings hat man hat bis heute nicht verstanden, wovon es den Blick tatsächlich ablenken soll.

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Das erstaunliche Missverständnis vom Feigenblatt und der Nacktheit

Als Feigenblatt bezeichnet man eine Sache, die vor eine andere Sache gestellt wird, um deren zweifelhaften oder obszönen Eigenschaften zu “verschleiern”. Die Metapher vom Feigenblatt

geht bekanntlich auf die biblische Erzählung von Adam und Eva zurück. Die  verbotenerweise von den Früchten des Baums der Erkenntnis aßen, und daraufhin erschreckt den Zustand ihrer “Nacktheit” feststellen mussten. Die dann notdürftig mit dem Feigenblatt bedeckt wurde.

Diese Erzählung beinhaltet ein erstaunliches Missverständnis. Die Sache von der das Feigenblatt ablenken soll, ist nämlich etwas ganz anderes als einfach nur Nacktheit. Um zu sehen was das ist, ist ein unverstellter Blick auf Nacktheit erforderlich. Begeben wir uns deshalb an einen Ort wo Nackte sind; an einen Nacktstrand. Wobei uns eine sinnliche Enttäuschung nicht erspart bleibt. Gelangt man doch rasch zur Einsicht, dass ganz nackte Menschen alles andere als “interessant”, und schon gar nicht aufregend wirken. Im Gegenteil, Ganznacktheit wirkt erfahrungsgemäß im Gegensatz zur Fastnacktheit in nicht erotischen Situationen regelrecht ernüchternd. Manchmal sogar abstoßend.

Womit man schon den Grund erahnen dürfte weshalb an Nacktstränden der erotische Kick ausbleibt. Ganznackte empfinden offenbar kein Bedürfnis in rasender Geilheit übereinander herzufallen. Alle blinzeln lieber in die Sonne, als bei anderen an gewissen Körperstellen näher hinzuschauen. Die nun mal nicht fürs Auge geschaffen sind. Es hilft nichts, an der Feststellung ist nicht vorbeizukommen, dass wir in ästhetischer Hinsicht bei unseren unteren Sachen schlecht weggekommen sind. Und damit zu einer brutal hässlichen, und im wahrsten Sinne des Wortes wirklich nackten Wahrheit: in erotisch nicht umnebelten Sinnen werden Genitalien meistens als hässlich empfunden. Was im Hinblick auf den 1866 gemalten

“Ursprung der Welt” von Gustave Courbet zu illustrieren wäre. Trotz aller noch so betont schöngeistigen Auslassungen der Kunsthistoriker ist an dieser provozierend naturalistisch dargestellten Sache nichts zu beschönigen. Das Gemälde könnte auch “Die hässliche Heimat des Menschen” heißen.

Was zu den ersten Menschen im Paradies zurückführt. Zwar wirkten die Früchte vom Baum der Erkenntnis als Augenöffner. Jedoch nicht im Bezug auf ihre Nacktheit, sondern im Hinblick auf die Hässlichkeit ihrer Genitalien. Jener Minderwertigkeitskomplex von dem Adam und Eva befallen wurden, und sie zum Feigenblatt greifen ließ, ist somit die mythische Entdeckung des Hässlichen. Wer auf ästhetische Entdeckungsreisen gehen möchte, braucht nur einmal das in diesem Zusammenhang in Betracht kommende Hässliche mit Hass auf Hässliches verbinden. Wobei unmittelbar der Ursprung zur Sexualfeindlichkeit des Christentums hervortritt. Was nicht weiter ausgeführt sein soll. Festzuhalten ist hier allerdings nachdrücklich, dass nicht die Nacktheit mit dem Feigenblatt verdeckt wurde, wohl aber die hässliche Wahrheit der unteren Sachen.

Was nebenbei bemerkt die Vermutung nahelegt, dass die Entdeckung des Hässlichen am Menschen den menschheitsgeschichtlichen Big Bang zur Hervorbringung von Schönem bewirkte. “Was wäre denn schön”, fragt Nietzsche in seiner Genealogie der Moral, “wenn nicht erst das Hässliche zu sich selbst gesagt hätte: ich bin hässlich”. Zum Verzehr der Früchte des Baums der Erkenntnis von Gut und Böse wäre schließlich noch hinzuzufügen, dass damit auch die Einsicht vom Wechselwirken zwischen Ästhetik und Ethik ihren Anfang hatte. Gut ist, wenn mit Verschönerungen am Menschen von seinen hässlichen Stellen abgelenkt wird. So gesehen waren Adam und Eva die mythischen Urahnen von Karl Lagerfeld und Coco Chanel.

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Nacktheit, Kultur und sexuelle Orientierung

Ich bin mir sehr wohl darüber bewusst, dass man nicht über Nacktheit reden kann ohne dabei kulturelle Zusammenhänge und sexuelle Orientierungen zu berücksichtigen. Die Hervorbringer abendländischer Kultur und Zivilisation, griechische Männer, waren bekennende Homosexuelle. Die vom moralisch-sittlichen Anliegen erfüllt waren, junge Knaben mit homosexuellen Gepflogenheiten vertraut zu machen. Das Gymnasium, vom griechischen gymnos, nackt, war ja ein Ort an dem junge nackte Knaben nicht nur unterrichtet, sondern auch von älteren nackten Männern begutachtet wurden. Nacktheit war die natürliche Tracht des pflichtbewussten, anständigen Bürgers. Männliche Ganznacktheit war sogar ein soziales, ethisches und ästhetisches

Ideal. Frauen hielten dagegen ihre Blöße eher bedeckt. Im Zusammenhang mit griechischer Homosexualität wären auch die Feldzüge Alexanders des Großen zu nennen. Der mit seiner Schwulen-Armee den ganzen Orient mit sowohl griechischen Errungenschaften, als auch homoerotischen Gepflogenheiten prägte.

Bevor ich nun vor dem Hintergrund bisher genannter Aspekte auf Muslime und ihre Bekleidungsvorschriften für Frauen übergehe, möchte ich von von einem Bekannten und seiner Freundin berichten, die mich einmal zum Besuch einer Bar einluden. Die Freundin, sie hieß Rita, war eine Frau, die an das Geschöpfchen in Stanley Kubrick’s Lolita erinnerte. Andrerseits erweckte sie den Eindruck ein erfahrenes Callgirl auf Urlaub in tropischen Gefielden zu sein. Der Bekannte ist ein echter Macho mit aufbrausendem Temperament. Im Verlauf des Abends fragte er mich: “siehst du den Typ da?” Damit meinte er einen Mann, der im Hintergrund der Bar stand. “Wenn er noch einmal Rita anstarrt leg’ ich ihn um; dann puste ich dieser Sau den Schädel weg.” Man könnte meinen, es wäre ihm lieber gewesen, wenn Rita wie eine Muslima verhüllt gewesen wäre. Wir werden gleich sehen, ob das sein Problem gelöst hätte.

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Männliche Homosexualität und Frauenverschleierungen 

Auf jene mehr als schon genug zitierten Stellen im Koran bezüglich weiblicher Verschleierung muss hier nicht eingegangen werden. Es genügt zu sagen, dass der Verfasser des Koran  gläubigen Frauen eine Art von Bekleidung befiehlt, die ihre Anmut und Schönheit vor gierigen Männerblicken verbirgt. Auch westliche Feministinnen befürworten neuerdings muslimische Bekleidungsvorschriften für Frauen. Wobei sie Burkini und Burka als geeignete Mittel empfehlen um wollende Männer auf Abstand zu halten.

Derartige Auffassungen zu infragekommenden Verschleierungen beinhalten jedoch einen krassen Denkfehler, der an die falsche Interpretation des Feigenblatts erinnert.

Beginnen wir mit der Frage, was eine fürs Auge geschaffene Verhüllung wie die Burka verbergen und wovon sie ablenken soll. Man wird mit einem Unterton von Selbstverständlichkeit darauf antworten, dass dies nichts anderes als das Fleisch der Frauen sein kann. Aber stimmt das auch? Sobald mit Nietzsches Methode des radikalen Verdachts die Burka hinterfragt wird, stellt sich heraus, dass man mit gängigen Auffassungen einer Täuschung anheimgefallen ist.

Was mich zum eben genannten Bekannten und seinem “Männerproblem” zurückbringt, mit dem er sich wegen seiner Rita nach wie vor herumschlagen muss. Angenommen, der Mann kann es nicht länger ertragen, dass fremde Männer sie anstarren und dabei in Gedanken mit ihr Sachen

machen, auf die nur er ein Anrecht hat. Nehmen wir außerdem an, dass er Rita in eine Burka steck,t um seinen Schatz vor männlichen Blicken zu verbergen. Bei oberflächlicher Betrachtung wäre damit sein Problem gelöst. In Wirklichkeit aber keineswegs!

Ob Rita splitternackt auf hohen Absätzen oder in einer Burka an der Bar steht, macht nämlich im Bezug auf das “Männerproblem” überhaupt keinen Unterschied. Worin soll der bestehen? Sie wäre doch so oder so der Anziehungspunkt für Blicke unbedingt wollender Männer. Die sich in ihrem Vorstellungsgetümmel durch nichts davon abbringen lassen könnten, der Frau die Burka vom Leib zu reißen. Damit dürfte schon klar sein, dass die Burka nicht die Funktion haben kann die man ihr zuschreibt. Dieses Tuch kann nicht dazu da sein eine Frau von männlichen Blicken abzuschirmen, so wie ein Regenschirm dazu da ist um nicht nass zu werden. Auf jeden Fall nicht wenn “normale” heterosexuelle Standpunkte angelegt werden.

Ein ganz anderes Bild ergibt sich, wenn man islamische Frauenverschleierungen aus der Psychologie männlicher Homosexualität herleitet. Ich höre hier den Zwischenruf, dass ich auf dem Holzweg bin weil die islamische Welt eine ausgesprochen homophobe Welt wäre. In der die Verachtung und auch Bestrafung von Homosexualität als Indiz für die moralische Überlegenheit des Islam gegenüber der Dekadenz der westlichen Welt gewertet wird. Zwar ist Homophobie in der Tat ein weit verbreites Phänomen. Aber noch viel mehr als Homophobie ist in der islamischen Welt die Misogynie verbreitet. Das ist laut Definition die Verachtung und der Hass auf Frauen, weil sie Frauen sind. Dass Frauen im Islam weniger Wert sind ist unbestritten. Und damit zu einer Frage die meinen Zwischenrufern Kopfzerbrechen bereiten muss. Wie können Homophobie und Frauenverachtung gleichzeitig existieren?  Wie können in einer ausgeprägten Männergesellschaft Frauen und Schwule gleichermaßen verachtet werden?

Es ist wieder Friedrich Nietzsche der zur Lösung dieses Rätsels verhilft. Der Islam, sagt Nietzsche hat “Männer zur Voraussetung”. Und er fügt hinzu, dass “Männer-Instinkte” ihn erschaffen hätten, die mit den “seltnen und raffinierten Kostbarkeiten des maurischen Lebens” vertraut waren. (Der Antichrist) An was für Männer und an welche “Männer-Instinkte” dachte Nietzsche? Da seine homosexuelle Veranlagung heute nicht mehr ernsthaft bezweifelt wird, erscheinen diese wie nebenbei hingeworfenen Sätze wie zur Bestätigung

einer Sache die sich ebenfalls nicht abstreiten lässt. Und zwar die, dass männliche Homosexualität im muslimischen Orient einmal die natürlichste Sache der Welt war. Die auch in aller Offenheit praktiziert wurde. Der Prophet selbst verspricht ja, noch ganz dem griechischen Erbe verpflichtet, seinen Anhängern nicht nur Jungfrauen, sondern auch junge Knaben im Paradies.

Bedenkt man, dass Homophobie ohne Homosexualität nicht denkbar ist, erscheinen schließlich auch jene Verschleierungen, die islamische Männer bei Androhung drakonischer Strafen Frauen aufnötigen, in einer anderen Beleuchtung. In der sich übliche Begründungen für infragekommende Bekleidungsvorschriften als nicht haltbar erweisen. Es ist eine ganz andere, auf Nietzsches Methode des Hinterfragens basierende  Erklärung in Betracht zu ziehen. Was die aufgenötigten Verschleierungen verbergen, wovon sie den Blick ablenken sollen, ist eine existierende, wenngleich verborgen gemachte homosexuelle Grundströmung in der islamischen Welt. Die zu einem Apartheitsystem zwischen Männern und Frauen gefährt hat. Und überhaupt; weshalb sollten Männer auf die Idee kommen Frauen zu verschleiern, wenn sie nicht als hässlich empfunden würden?