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Risiken und Nebenwirkungen des Schnarchens 

David Precht ist in Deutschland eine berühmte Person. Nein, natürlich nicht so berühmt wie Boris Becker, Hansi Hinterseer oder Florian Silbereisen. Das sind echte Promis. Die kennt jedes Kind. Den Florian Silbereisen kennt sogar jede Oma und jeder Opa. Weil er auf dem Traumschiff Kapitän ist. Auf der Brücke vom Traumschiff ist Precht nicht zu sehen. Noch nicht! Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Immerhin muss man neidlos zugeben, dass er allein schon vom 

Aussehen her gut aufs Traumschiff passen würde. An einem Kapitän mit modischer Langhaarfrisur hätte das Publikum bestimmt nichts auszusetzen. Außerdem könnte er auch in anderer Hinsicht punkten. Bei einem Kapitän auf einem solchen Schiff muss schließlich nicht nur das äußere Erscheinungsbild stimmen. Auf die inneren Werte kommt es auch an. Ein Kapitän muss was im Kopf haben. Je mehr, desto besser. Und eben deshalb wäre David Precht im Vergleich zu anderen Promis die Idealbesetzung. Einige davon wären mit Kapitänsmütze zwar auch bildschirmtauglich. Aber was würde einer wie der Hinterseer Hansi beim Einlaufen in den Hafen von Mauritius von sich geben? Denken wir lieber nicht dran.

Bei David Precht bräuchte man sich in dieser Hinsicht keine Sorgen machen. Der Mann ist nämlich Philosoph! Und hat als Philosoph eine eigene Fernsehsendung. Mit dieser beruflichen Qualifikation sollte der Karriereschritt zum philosophierenden Traumschiff-Kapitän eigentlich vorprogrammiert sein. Das wär doch was! Einer der mit philosophischer Daseinsdurchdringung den Menschen das Leben an Bord geistig bereichert. Der, wenn etwa eine Passagierin beim festlichen Dinner am Kapitäns-Tisch freimütig bekennt falschen Schmuck zu tragen, mit: “tja, gnädige Frau, so wahrt man den Schein”, auch auf hoher See die richtigen philosophischen Worte findet. Und, mehr noch, auch in der Lage wäre zu Sekt und Lachshäppchen den Leuten am Tisch ein selbstverfasstes Buch mit dem Titel: “Warum gibt es alles und nicht nichts?” überreicht.    

Wohlwollende Menschen sind der Meinung, man müsse David Precht nehmen wie er ist. Würde er doch trotz eher flacher Ausführungen und trotz seinen Fashion-Model Attitüden die Leute ans philosophische Denken heranführen. Es wäre schön, wenn es so wäre. Aber das zu glauben ist ein fürchterlicher Irrtum! Tatsächlich führt der Mann, der sich Philosoph nennt, in Wirklichkeit aber nur ein talentierter Philosophen-Darsteller ist, schnurstracks von der Philosophie weg.

Wenn philosophische Fragen im öffentlichkeitswirksamen Unterhaltungsformat erörtert werden, kann nun mal nichts anderes als nur belangloses Geplapper über die Lippen kommen. Belanglos deshalb, weil doch ohnehin schon alles auf das Niveau einer endlosen Fortsetzung belangloser Unterhaltungsveranstaltungen reduziert ist. Ob Hansi Hinterseer vom Glück der Liebe singt oder David Precht im Scheinwerferlicht der Frage nachgeht, ob es die Wirklichkeit wirklich gibt, ist daher gehüpft wie gesprungen. Egal wen man gerade hört: was zu einem Ohr rein geht, geht doch im nächsten Moment zum anderen Ohr wieder raus. Da bleibt nichts. Außer mehr oder weniger erheiternde Bruchstücke gigantischer Verlegenheiten.  

Vielleicht erinnern diese Bemerkungen an Neil Postman’s These aus den 80er Jahren, derzufolge wir uns zu Tode amüsieren. Aber die Zeiten haben sich geändert. Es gibt ja heutztage eigentlich nicht mehr viel zu lachen. Obwohl es tatsächlich Menschen gegeben haben soll, die sich zu Tode lachten, dürfte es viel häufiger vorkommen, dass heftiges Schnarchen den Übergang vom 

Schlaf in den Tod begünstigt. Heftiges Schnarchen kann ein Hinweis auf Erkrankungen sein. Schnarchern wird daher der Besuch beim Hausarzt empfohlen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Schnarcher mit ihren Sägeattacken nahestehenden Mitmenschen den Schlaf rauben. Es ist allerdings auch nicht ungewöhnlich, dass in Schlafzimmern Nacht für Nacht gemeinsam an dicken Stämmen gesägt wird. Wie übrigens auch in vollbelegten Schlafsälen, in denen Wanderer, Backpacker und Radfahrer die Matratzen beschweren.

Eingedenk dieser wenig erbaulichen Einrichtungen kann man sich auch so etwas wie einen

Kulturschlaf-Saal vorstellen. In dem Kulturschaffende mit verschnarchten Hervorbringungen und Darbietungen gewissermaßen um die Wette schnarchen. Mit Sachen, die von Anfang an ganz bewusst mit einer “Einschlaf-Garantie” programmiert sind. Als augenzwinkerndes Entgegenkommen an ein Publikum, das in seiner behaglichen, gutmütigen, zu wohliger Schlafmützigkeit neigenden Teilnahme nicht gestört werden möchte.

Das Wort “verschnarcht” ist mit behäbig, schwunglos, langweilig, altbacken, verstaubt usw. gleichbedeutend. Gerne wird geglaubt, kulturell Verschnarchtes wäre eine Domäne älterer Semester. Die nichts anderes als ihre hergebrachten Normen und Werte kennen. Die Wahrheit sieht anders aus. Was verschnarchter und langweiliger nicht sein kann sind Manifestationen, die den Anspruch erheben aufrüttelnd, gesellschaftskritisch, alternativ, progressiv, engagiert, fortschrittlich und betont kompromisslos zu sein. “Doch der Schein trügt”, wie der vorhin erwähnte Philosophen-Darsteller sagen würde. Handelt es sich dabei doch alles in Allem ums Geschnarche der deutschen Gegenwartskultur. Und so wie Schnarcher mit bedenklichen Vorerkrankungen an der Schwelle des Todes schlafen, ist auch Kultur-Schnarcherei mit sehr gefährlichen Nebenwirkungen verbunden. Die sogar schon zum Ernstfall geführt haben.

 

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Zu Tode geschnarcht! Deutschland – ein zweigeteiltes Totenland

Die Lage ist tatsächlich ernst. Bei ihrer Beschreibung kann man sich kurz fassen. Auf der einen Seite brüllen Rechtsradikale, Fremdenhasser und Verschwörungsgläubige. Auf der anderen fordern Empörte, Betroffene und Besonnene eine bessere Welt. Dazwischen ist nichts! Gar nichts! Nur Tagesschau, “Kijimea Reizdarm” Werbung und das Geschnarche im Kultur-Schlafsaal. Was tun? Hin und wieder lüften tut gut. Manchmal ist eine Art des Lüftens hilfreich, bei der ein Durchzug entsteht. Durch diese Methode verschwindet auch der stickigste Stuben- und Treppenhausmief. Das ist allerdings nicht immer erwünscht. Gerade Stubenmief wird von Stubenhockern häufig als Wohlfühlfaktor empfunden. Wenn da ohne Vorwarnung die Fenster aufgerissen werden, wird lautstark protestiert. Das ist auch der Fall wenn im verschnarchten Kultur-Schlafsaal den Schnarchern plötzlich kalte Luft um die Nase weht. Das mögen sie nicht. Das empfinden sie als schonungslosen Angriff auf ihre Würde.

Wobei man sich daran erinnern kann, dass Radikalität früher als willkommene Frischluftzufuhr in Kunst und Philosophie begrüßt wurde. Eine Gesellschaft ist schließlich nur dann überlebensfähig, wenn geistige Normen, gesellschaftliche Werte und ästhetische Gepflogenheiten ständigen, und dazu möglichst unbequemen Umwertungen ausgesetzt sind. Man könnte auch sagen, dass Kultur idealerweise die Funktion einer gesellschaftlichen Frischluftzufuhr haben sollte. Was aber passiert, wenn abgestandener Mief mit frischer Luft verwechselt wird?

Jede Zeit wird von bestimmten Haltungen geprägt. In den späten 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts dominierte die Haltung des Aufbruchs aus verknöcherten Werten und des Widerstands gegen die Staatsgewalt. Die jungen Deutschen glaubten damals die Pforten für eine progressive Zukunft aufgestoßen zu haben. Aus der vermeintlich radikalen Alt-68er Bewegung wurde im Verlauf der Zeit allerdings etwas ganz anderes. Man wird zugeben müssen, dass heutztage  Linksliberalismus, Feminismus, politische Korrektheit, Gutmenschentum, Klima-Aktivismus, Antifa usw. zum tonangebenden Meinungshimmel verschmolzen sind. Woran nichts auszusetzen wäre, wenn sich darin nicht längst schon eine eher spießige und zugleich rabiate Gesinnungs- und Attitüdengemeinschaft etabliert hätte. Die immer dann sofort empört aufschreit, wenn irgendwas gesagt wird, was nicht zum Mief des verschnarchten Kultur-Schlafsaals passt.   

Also alles Freche, Witzige und Kluge, das die Schnarcher unter ihren Nasen kitzelt und ihren Mief genüsslich auf die Schippe nimmt. Was entrüstet abgelehnt, besser aber mit dankbarer Erleichterung als kulturelles Überlebensmittel begrüßt werden sollte.