Auf Deutschlands Straßen sind mittlerweile ein Drittel aller Autos SUVs. Bevor von diesen klobigen Fahrzeugen auf Stelzen und den psychologischen Befindlichkeiten ihrer Fahrerinnen und Fahrer gesprochen wird, sei mit Wehmut zunächst einmal an eine automobile Sensation aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts erinnert. Am 5. Oktober 1955 wurde auf dem Pariser Autosalon ein Auto vorgestellt, vor dem die Menschen andächtig raunend niederknieten. Es war freilich kein gewöhnliches Auto, das die Besucher in selige Verzückung versetzte. Was sich vor ihnen offenbarte, war die wie aus einer anderen Welt gekommene, und durch wundersame Umstände Wirklichkeit gewordene Idee der einzig wahren, schönen und guten Fortbewegung auf vier Rädern. Den bewunderten Gegenstand Auto zu nennen, muss daher als
respektlos, ja sogar als Majestätsbeleidigung erscheinen. Tatsächlich wurde die DS von Citroen als Göttin bezeichnet. Deren äußere Erscheinung mit dem Wort “avantgardistisch” nur unzureichend beschrieben ist. Handelt es sich dabei doch nicht nur um gelungenes Design, sondern vielmehr um eine der ganz großen Sternstunden der Formschöpfung. Aber auch die inneren Werte der Göttin übezeugten. Es gab fürstliche Platzverhältnisse und eine faszinierende Technik. Die den Insassen dieses Gefährts auch auf den schlimmsten Landstraßen das Gefühl gab, im siebten Himmel zu schweben.
Man hätte einen Aufschrei des Entsetzens gehört, wenn auf diesem Autosalon
plötzlich ein deutscher BMW X7 zu sehen gewesen wäre. Ein Fahrzeug, das im Vergleich zur aristokratischen, und doch auch augenzwinkernd lässigen Noblesse der französischen Straßengöttin als Ausgeburt eines wahrhaft höllischen Stumpfsinns anmutet. Ein unangreifbar wirkender, rüpelhaft missmutig, und zugleich in boshafter Angriffslust in sich kauernder Brocken. Und wie zur Bestätigung des naheliegenden Verdachts, dass bei seiner Hervorbringung der Sympathie am Bösen ein Mitspracherecht eingeräumt wurde, hat man sich bei der Gestaltung des Vorderteils offenbar an der furchteinflößenden Visage des nordkoreanischen Diktators Kim Jong Un orientiert.
Ein 400 PS starker Motor mit vier Turbos kann das 2,6 Tonnen schwere Gefährt mit der Rasanz eines Sportwagens auf 250 Sachen beschleunigen. Wobei derart bewegten Menschen alles geboten wird, was sie in einer modernen Wohlfühloase erwarten dürfen. Intuitive Sprach- und Gestensteuerung, Bluetooth-Telefonie, Smartphone-Integration, WLAN Hotspot, Online-Services und USB-Ports. Natürlich auch ein Head-up-Display, ein Harman Kardon Surround Sound-System, DAB, HDTV, Fond-Entertainement, High End-Sound von Bowers&Wilkins. Gegen Aufpreis ist auch eine Panorama-Glasdach Skylounge mit über 15000 Lichtpunkten erhältlich. Und das alles für die Kleinigkeit von 109 000 Euro. Da sieht man gerne großzügigst darüber hinweg, dass ein Zigarettenanzünder fehlt.
Warum eigentlich sportliche Geländegängigkeit auf der Autobahn?
Der X7 ist ein SUV. Was aber genau ist ein “Es-Ju-Wie”, oder einfach nur Suf? Man versteht darunter ein “sport utility vehicle”, also ein sportliches Nutzfahrzeug. Da unergründlich ist was an solchen Fahrzeugen als sportlich empfunden werden könnte, ist es wohl aufschlussreicher von straßengängigen Geländewagen, oder geländegängigen Straßenwagen zu sprechen. Die ja nach Dingen wie Rampen- und Böschungswinkel, sowie Bodenfreiheit beurteilt werden. Nicht zuletzt auch nach der Tiefe von Gewässern, die durchfahren werden können, bevor das Fahrzeug um Hilfe schreit.
Zwar ist ein SUV wie der Lada Niva 4X4 ursprünglich als ausgemachte Geländesau konstruiert. Die aber von Anfang an keine stadtfeinen Merkmale erhielt und sich dennoch auf den Straßen der Städte gut zurechtfindet. Vornehmeren SUVs sieht man es jedoch förmlich an, dass sie sich nicht die Reifen schmutzig machen wollen und für nichts anderes als für Stadt und Autobahnen gebaut werden. Selbst
Hersteller wie Maserati, Bentley und Rolls-Royce haben solche Fahrzeuge im Angebot. Bei denen es sich allesamt um vergrößerte, höhergelegte Limousinen handelt. So ist beispielsweise der Audi Q8 ist ein aufgebockter A8, der Touareg ein aufgeblähter Passat in extra hohen Stiefeln und der Porsche Cayenne ein überdimensionierter Carrera auf Stelzen.
Natürlich geht der Einstieg in einen Volvo XC60 nicht so beschwerlich vonstatten wie in einen Opel Corsa, und im Cayenne sitzt man besser als im Golf. Zweifellos ist es auch angenehm, wenn man mit anderen Verkehrsteilnehmern nicht auf Augenhöhe sein muss, sondern nach Feldherrenart wie von einem Hügel herab aufs Getümmel blicken kann. Wohl wissend, dass ein Tritt aufs Gaspedal genügt, um gewöhnlichem Blech jederzeit das Nackenhaar zu zeigen. Aber das allein kann nicht die wachsende Popularität geländegängiger Autos erklären, die sich ohne Einparkhilfen in Tiefgaragen hässliche Verletzungen zuziehen würden.
Abgesehen von Förstern, die im Subaru Forester berufsbedingt über Stock und Stein rollen, ist es nur wohlhabenden Jagdpächtern vergönnt, in ihrem Pirschbezirk auf kaum befahrenen Feldwegen einen Hochsitz am Waldesrand anzusteuern. Bleiben noch Schäfer und Bauern, die mit dreckigen Gummistiefeln im Opel Mokka querfeldein zur Reparatur beschädigter Weidezäune ausrücken. Alle anderen dürfen jenseits öffentlicher Straßen höchstens an einen Baggersee. Aber deswegen kauft niemand einen SUV. Und um zum Ferienhaus im Berner Oberland zu kommen braucht man auch keinen. Worin besteht also letztendlich der Anreiz sich einen zuzulegen, wenn Geländegängigkeit eigentlich nicht kaufentscheidend ins Gewicht fallen kann.
Schutz vor gesellschaftlicher Verrohung in gesicherten Gefechtsständen
SUVs sind ein Paradebeispiel für Wechselbeziehungen zwischen Design und gesellschaftlichem Wandel. In den 80ern war das Wort “Ellenbogengesellschaft” im Umlauf, das heute Assoziationen an eine vergleichsweise gute alte Zeit weckt. In der das Vordrängeln als Massenbewegung den Alltag prägte. Es war die Zeit, als Audi Quattro und Golf GTI II benzinbezirzte Herzen höher schlagen ließen, und aus schwächeren Autos durch Tuning heiße Kisten wurden. Alles um schneller als andere vorwärts zu kommen. Tieferlegung hieß das damalige Zauberwort. Nichts entsprach ihm mehr als ein tiefergelegter Dreier mit vierfachem Sportauspuff und extrabreiten Pirellis.
Heute drängeln sich die Menschen nicht mehr aneinander vorbei; sie gehen völlig enthemmt aufeinander los. Die Gegenwart ist von einer offenbar unaufhaltsamen Enthemmungswelle erfasst. Von ordentlicher Streitkultur kann schon längst keine Rede mehr sein, wohl aber von einer sich immer mehr ausbreitenden Hetz- und Hasskultur. Beleidigungen übelster Art, Verächtlichmachung von Besonnenheit und
Vernunft, rücksichtslose “Ausschreitungen” und selbst Morddrohungen sind im Schutz der Anonymität an der Tagesordnung. Toleranz und Nächstenliebe werden als verstaubte Sachen aus der Welt von Vorgestern belächelt. Wer seinen eigenen Vorteil nicht im Angriff sucht, oder dazu nicht in der Lage ist, steht automatisch auf den Abstiegsplätzen. Aber unabhängig vom jeweiligen sozialen und finanziellen Tabellenstand sind ein Gemisch aus Missgunst, Unzufriedenheit, Enttäuschungen, Verständnislosigkeit, Stress, Burn-out und Einsamkeit zu einer kollektiven, schwärzlich verhangenen Stimmungslage vereint. Die der allgemeinen Verrohung zusätzlichen Vorschub leistet.
Womit ein schwer beherrschbares gesellschaftliches Gelände, eine bedrückende soziale Topographie erkennbar wird, die bei vielen Unbehagen hervorruft. Das sich als Geländeangst äußert. Ein anderes Wort für Geländeangst ist Topophobie. Womit Angst vor bestimmten Orten, Plätzen oder Situationen bezeichnet wird. Im hier erörterten Zusammenhang ist es vielleicht treffender von Raumangst zu sprechen. Insofern, weil Städte und Straßen, aber auch Arbeitsplätze und Wohnhäuser einen gesellschaftlichen Raum bilden. Der sich in seiner Gesamtheit, die riesigen Umsätze angstlösender Medikamente bestätigen es, als angsteinflößendes soziales Gefechtsgelände manifestiert.
In dem mit harten Bandagen gekämpft wird, und in dem man ständig in Gefahr ist unter die Räder zu kommen. Weshalb man sicherheitshalber in Autos sitzt, die die Annehmlichkeiten einer schützenden Rüstung mit strategischen Vorzügen eines höhergelegten Gefechtsstands vereinen. Wer die Tür eines BMW X7 hinter sich schließt, aus den edlen Aromen der Innenraum-Beduftung eine Auswahl mit garantiertem Wohlfühlfaktor trifft und die dazu geeignete Beschallung anstellt, verfügt am Steuer Befehlsgewalt in einem als rollendem Recht des Stärkeren wahrgenommen Fahrzeug. Das als potentieller Bezwinger der Topographie freilich nur die lackierte Ausrufung einer kollektiven Topophobie darstellt.