Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man. Franz Kafka

People are strange when you’re a stranger – Faces are ugly when you’re alone The Doors

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Überall nur Heimat. Auch die Fremde ist heimatlich 

In einem Grußwort an seine Heimatstadt Messkirch gab Martin Heidegger, einer der prominentesten Denker des 20. Jahrhunderts, mahnend zu bedenken: “…denn es bedarf der Besinnung, ob und wie im Zeitalter der technisierten gleichförmigen Weltzivilisation noch Heimat sein kann.” Wobei den Denker offenbar die Sorge umtrieb ob Heimat, als historisch und kulturell gewachsene Einmaligkeit, aus einer zunehmenden Gleichförmigkeit überhaupt noch herausragen kann. Als schutzbedürftige, inselähnliche Sache. An die der Wunsch herangetragen wird, dass sie vom ungestüm voranschreitenden Wesen der Welt gnädigst verschont bleiben möge.

Der Gegenbegriff zu Heimat ist die Fremde. Damit ist eine Gegend bezeichnet, die mehr oder weniger fernab von der Heimat als abweichend vom Vertrauten wahrgenommen wird. Nun ist die Fremde aber nicht einfach nur der Gegenbegriff von Heimat. Erst im Hinblick auf die Fremde wird Heimat überhaupt erst denkbar und möglich. Wer von Heimat spricht darf daher von der Fremde nicht schweigen. Steht doch im Zusammenhang mit Heimat die verblüffende, ja provozierend anmutende Frage im Raum, ob in unserer globalen Gleichförmigkeit noch Fremde sein kann?

Wo aber soll die Fremde heute sein? Es gibt keine Gegend mehr auf der Welt die nicht schon als Reiseziel entdeckt worden wäre. Viele Orte sind dem Ansturm ihrer Besucher nicht mehr gewachsen. Vor noch nicht allzu langer Zeit glaubte man durch Reisen eine industrialisierte, gleichförmige Welt hinter sich lassen zu können. Heute ist das Reisen und auch der Aufenthalt in anderen Ländern nichts anderes als ein Zustand des Fortseins in industrialisierter Gleichförmigkeit. Dabei haben schon viele im Fortsein ihre neue Heimat entdeckt. Überall auf der Welt sind Ferienwohnungen und Zweitwohnsitze im Angebot.

Was längst schon stattgefunden hat ist eine industrialisierte Entfremdung der Fremde. So dass diejenigen die frei in der Welt umherreisen, von krassen Ausnahmefällen in islamischen Gegenden abgesehen, normalerweise kaum noch eine Fremde vorfinden. Auf jeden Fall nicht eine Art von Fremde, die jenes schlimme Gefühl von Fremdheit aufkommen lässt, das Jim Morrison, wie oben zitiert, mit wenigen Worten genau auf den Punkt brachte. Im Gegenteil.

Globalisierte Dienstleistungen haben ja inzwischen dafür gesorgt, dass selbst auf Reisen in weitester Ferne niemand mehr die Hässlichkeit schroff abweisender Gesichter verfluchen muss. Der immer öfter, und mit immer höheren Ansprüchen umherreisende Mensch darf sich heute in einer perfekt durchorganisierten Welt des dienstbeflissenen Lächelns überall wie zu Hause fühlen.

Vielleicht wecken diese Andeutungen Assoziationen an die gerne verwendete Metapher vom Globalen Dorf, die Marshall McLuhan in den frühen 60er Jahren als medientheoretischen Begriff prägte. Dabei konnte er nicht ahnen, dass ausgerechnet aus der Verschönerung deutscher Dörfer eine ästhetische Verhunzung der Welt hervorgehen würde.

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Vom schönen deutschen Dorf zum Horror des globalen Damaligkeitsparks

In der ehemaligen Bundesrepublik wurde 1961 ein Wettbewerb ins Leben gerufen, der “Unser Dorf soll schöner werden” hieß. In der Tat ließ das damalige Erscheinungsbild vieler Dörfer nicht nur einiges, sondern viel, und wohl auch sehr viel zu wünschen übrig. Die Initiative zur Verschönerung der Dörfer wurde daher weitgehend als begrüßenswert empfunden. Übrigens hatte der Wettbewerb Ableger in anderen Ländern. So dass auch in Italien, Frankreich, Spanien und anderswo die Dörfer nach und nach wohlwollende Blicke auf sich zogen. In Deutschland ist dem Wettbewerb neuerdings das fortschrittlich klingende Motto “Unser Dorf hat Zukunft”

verliehen. Es handelt sich dabei allerdings nach wie vor um einen  Schönheitswettbewerb. Bei dem sachkundige Experten, wie bei olympischen Wettbewerben, die schönsten Dörfer mit einer Goldmedaille auszeichnen. Die daraufhin, kein Witz, offiziell den Namen Golddorf führen dürfen.

Allerdings können schöne Dörfer nicht so wie Schönheitsköniginnen einfach nur irgendwie

schöner als andere sein. Kann sich doch die Schönheitswut notgedrungen immer nur innerhalb eines schon gegebenen historischen Dorfcharakters austoben. So dass im Verlauf der Zeit beim Überbietungswettbewerb zum schönsten Dorf etwas ganz anderes als ursprünglich beabsichtigt entsteht. Nicht etwa umwerfend schöne Dörfer, wohl aber eine Inszenierung von heimatlich anmutender Damaligkeit. Die in ihrer unerbittlich erzwungenen Gefälligkeit noch viel damaliger wirken muss als sie es jemals war.

Begeben wir uns einmal in eines jener inzwischen unüberbietbar schön gewordenen Dörfer, die dem Bild von heimatlicher Damaligkeit vollkommen entsprechen. Bewundern wir Dächer, Fachwerk, Sockel, Hauseingsstufen und Hauseingänge. Fenster, Fensterläden, Türen und Tore. Hofflächen und Gehwege. Einfriedungen und Stützmauern. Zäune und Vorgärten, Torbogen,

Gedenksteine und Bildstöcke. Die weltabgewandte Ruhe. Gänsegeschnatter. Der plätschernde Dorfbrunnen. Das Schlagen der Kirchturmuhr. Entzückend! Alles ganz genau so als ob die Zeit in einer goldenen Damaligkeit stehen geblieben wäre.

Das alles ist aber nur die Kulisse zu einer regelrechten Orgie an Damaligkeitsinszenierungen. Es ist Sonntag. Historisch uniformiert marschiert der örtliche Schützenverein zum festlich

 

 

 

geschmückten Bahnhof. Wo vor einem Züglein von anno dazumal eine originalgetreu restaurierte Dampflok ungestüm stampfend darauf wartet begeistert singende Schützen nebst Anhang

ins benachbarte Dorf zu ziehen. Wo anlässlich eines historischen Gedenktags ein Festzelt errichtet ist. In dem die ohnehin schon ausgelassene Stimmung, wie vermutet werden darf, bei Bums und Bier erinnerungswürdige Höhepunkte erreichen wird. Unterdessen haben Radler auf ihrer Fahrt zu einem historischen Pferdemarkt vor einem Bierkrugmuseum Halt gemacht, in dem die Damaligkeit deutscher Trinkkultur bewundert werden kann. Dem Museum ist ein

Gastronomiebetrieb angeschlossen. In den Wanderer strömen, die auf ihrer Erlebniswanderung von Dorf zu Dorf eine Erfrischungspause einlegen müssen.

Derweil schleppen sich in einem nahegelegenen, unendlich reizvollen, und geradezu zum Weinen so schönen mittelalterlichen Städtchen, ganze Busgesellschaften durch die Gassen. In einer Gefühlslage die entzückter Tränenseligkeit entspricht. Die dann aber angesichts plötzlich in den Blick geratender, besonders ergreifender Sehenswürdigkeiten, in eine tänzelnd beschwingte Fröhlichkeit des Herzens übergeht.

Das sind flüchtige Blicke auf eine Damaligkeits-Dauerveranstaltung, die heutzutage überall zwischen Vorderhausen und Hinterdupfingen gleichzeitig stattfindet. Wobei ermüdende, abgedroschene, ja schon längst tote sprachbildlerische Mittel benutzt werden, um in Touristenbroschüren und Reiseführern die Glanzlichter heimatlicher Damaligkeit anzupreisen. Da ist die Rede von:

sagenumwobenen alten Burgen, die von stolzen Anhöhen herab grüßen…lieblichen Tälern mit grünen Wäldern, durch die sich murmelnde Bäche schlängeln…zum Verweilen einladende lauschige, malerische, idyllische, heimelige, romantische Winkel ……von Geschichte nur so strotzenden, wehrhaften  Mauern, die Zeugnis von einer bewegten Vergangenheit bekunden…altehrwürdigen Dächer, die sich über Efeu umrankte Häuser wölben…verschwiegene Gassen…

Was ist das für eine Sprache? Das ist die Sprache die zu einer bunten Märchenkulissenwelt, zu einem Amüsierbetrieb passt. Womit aber leider noch nicht alles gesagt ist. Denn dieses Geschwätz ist zugleich auch ein linguistisches Täuschungsmanöver. Das höchst effektiv mit dazu beiträgt ehemalige heimatliche Regionen in eine Sache zu verwandeln, für die ich den Begriff  Damaligkeitspark vorschlagen möchte.

In dem einstmals authentische, historisch gewachsene Lebensräume, das also was noch Heidegger als Heimat vorschwebte, in einer bunten, folkloren, nichtssagenden Belanglosigkeit spurlos verloren gegangen sind. Und in dem aufgrund  seiner pseudohistorisch glatt polierten Faszinationskraft keine Gedanken mehr daran aufkommen, dass früheres Dasein in dieser weltweit verbreiteten industrialisierten Damaligkeitsparkwelt alles andere als ein schönes Leben war. Schließlich waren obrigkeitliche Willkür, Angst, Armut, Krankheit, Hunger, Kriege, Epidemien, Brände usw. die wirklich vordergründigen Lebenserfahrungen der Menschen.

Wer der Auffassung zustimmt Heimat wäre nicht so sehr ein Ort, sondern vielmehr ein Gefühl, wird sich schwerlich dem Hinweis verschließen können, dass auch Disneyland kein Ort, wohl aber eine Gefühlswelt darstellt. Außerdem wäre augenzwinkernd daran zu erinnern, dass so wie Disneyland von der Figur mit den abstehenden Ohren, der Damaligkeitspark von den

Füßen seiner Besucher geprägt wird. Hier soll aber nicht die These von der Disneylandisierung der Welt aufgewärmt werden. Und selbst wenn es so etwas wie eine Disneylandisierung gäbe, was definitiv nicht der Fall ist, wäre sie im Vergleich zum weltweiten Damaligkeitspark das kleinere Übel.

Der industrialisierte Damaligkeitspark ist nämlich die Realität einer Horrorvision. die in Anlehnung an Aldous Huxley’s dystopischen Roman Schöne, neue Welt unter dem Titel Schöne, neue Damaligkeitswelt beschrieben werden könnte. Eine Welt, In der die Hervorbringung von Damaligkeit als Lebenswelt die Menschen gleich mit “verdamaligt” werden. Immerhin dienen Anti-Aging Methoden der Inszenierung des Jungseins, der Damaligkeit jedes menschlichen Lebens.