Wir leben nicht um zu essen, sondern wir essen um zu leben.   Sokrates

Passend zu aufgewärmten Resten des Festessens vom Vortag, bekamen Fernsehzuschauer am 2. Weihnachtstag 2020 in der Tagesschau Aufnahmen von einem uralten Fast-Food Restaurant zu sehen. Das Archeologen im Schutt von Pompeji ausgegraben hatten. Aufgrund einer Analyse gefundener Knochenreste konnte festgestellt werden, dass dort Hähnchen am Spieß, Lamm, 

Schweinefleisch und andere Köstlichkeiten über den einladend bemalten Thresen gingen. Leider ist zu vermuten, dass all jenen genüsslich kauenden Kunden, die an diesem Schnell-Imbiss vom plötzlichen Vulkanausbruch überrascht wurden, die letzten Leckerbissen ihres Lebens gleichsam im Hals steckengeblieben sind.

Hinsichtlich dieser schrecklichst  zu Tode gekommenen Esser ist die Einsicht naheliegend, dass wir gut daran tun uns an jeder Mahlzeit so zu erfreuen, als ob es die letzte wäre. Nach unserem Ableben kann die Hand nichts mehr zum Mund führen. Der Tod macht mit dem Essen schluss! Und weil andrerseits ohne Essen kein Leben wäre ist es nur allzu menschlich, wenn im Essen seit jeher schon die wohl hauptsächlichste Grundangelegenheit des Lebens erkannt wird. Die sich allerdings keineswegs ausschließlich auf den Vorgang der Nahrungsaufnahme beschränkt.

Zwar müssen wir essen, aber wir wollen nicht immerzu einfach nur irgendetwas essen. Wir sind nun mal keine Tiere, denen nichts anderes übrig bleibt als ihren Hunger zu stillen. Im Gegensatz zu Tieren ist es uns Menschen vergönnt uns über unsere Ernährung Gedanken zu machen. Sie in sowohl zubereitungsbezogenen, als  auch gesundheitlichen, gesellschaftlichen und ethischen Zusammenhängen zu sehen. Ein Blickfeld, das seit dem Altertum der Gastrosophie (von gr. “gaster” – Bauch, und gr. “sophia” – Weisheit) zugeordnet wird. Wobei Kopf und Bauch als eine miteinander verbundene Einheit aufgefasst werden.  

Die besonders einprägsam im berühmten Ausspruch von Ludwig Feuerbach (1804-1872) zum Ausdruck kommt, demzufolge “Der Mensch ist, was er isst“. Falls man dieser Meinung zustimmt, ist der Inhalt eines Kopfs danach zu beurteilen, was dem daran angeschlossenen Bauch zugeführt wird. Wer nichts gescheites isst, kann dieser Logik zufolge auch nichts gescheites denken. Was andrerseits freilich auch beinhalten würde, dass bestimmte Lebensmittel eine regelrecht verdummende Wirkung entfalten. Tatsächlich hatte Feuerbach die Kartoffel in Verdacht, aus Deutschen ein Volk von Stumpfsinnigen gemacht zu haben. Dass er mit dieser eher boshaften Einschätzung vielleicht doch nicht ganz falsch lag, drängt sich beim Anblick von fetten, stiernackigen deutschen Rechtsradikalen auf. Die im Mief schmieriger Frittenbuden riesige Mengen Pommes-Rot-Weiß verschlingen.  

Friedrich Nietzsche (1844-1900) sah im “Mangel an Vernunft in der Küche” einen Hauptgrund für geistige Zurückgebliebenheit. Die deutsche Küche machte er dafür verantwortlich, mit ihren “ausgekochten Fleische, die fett und mehlig gemachten Gemüse, die Entartung der Mehlspeise zum Briefbeschwerer” zu “betrübten Eingeweiden” zu führen. In denen der wahre Ursprung des deutschen Geistes erkannt werden müsse. Abgesehen von außer Rand und Band geratenen deutschen Eingeweiden, deren irres Treiben in der Kijimea Reizdarm Werbung angeprangert wird (“…zuerst Durchfall und dann mit Blähungen zum Chef”), steigt bei Nietzsches Standpunkt ein nicht so ohne weiteres von der Hand zu weisender Verdacht auf. Ist doch nicht auszuschließen, dass verschnarchte Lahmarschigkeiten deutscher Gegenwartskultur mit einem lahmen Verdauungsgeschehen in Verbindung stehen.      

Mensch, Mitmensch und Welt. Was machen wir mit uns und der Welt wenn wir essen?

Bedeutsamer als Geist-Bauch Beziehungen, die naturgemäß im Verborgenen walten, sind offen zutage tretende  Bauch-Welt Verhältnisse. So wie wir mit unerbittlicher Logik werden was wir essen, ist die Welt in der wir leben zum Spiegelbild unserer Ernährungsgewohnheiten geworden. Das heißt: die Welt ist, wie der Mensch isst. Wobei freilich zunächst einmal nicht übersehen werden darf, dass viele Menschen wenig, oder überhaupt nichts zu essen haben. Essen als Grundangelegenheit des Lebens wurde und wird daher immer auch als Grundangelegenheit der Mitmenschlichkeit erachtet. Die eigenen Bissen mit denjenigen zu teilen, die nichts zu beißen haben, galt und gilt in allen Völkern und Kulturen als moralische Verpflichtung. Nun kommt aber bekanntlich erst das Fressen, und dann die Moral. Wenn’s um das geht was auf dem eigenen Teller liegt, fühlt sich der Mensch anderen gegenüber alles andere als verpflichtet. “Das Hähnerl

hier ist für den Dicken, der Handwerksbursch fühlt Magenzwicken” heißt es bei Wilhelm Busch.  Nicht nur, dass der Dicke in dieser Bildergeschichte dem mageren Handwerksburschen nichts abgibt, er macht sich auch ein Vergnügen daraus, das Leiden des Dünnen zu verstärken indem er “so leger wie nur möglich flötend” das Fett von den Knochen schlürft. Wonach der Bauch des Dicken gar nicht verlangt hat.

Der Bauch selbst ist ja in den meisten Fällen nicht der knurrende Quälgeist des Kopfs, wohl aber sein alles erduldender Sklave. Der Kopf ersinnt vielerlei Gründe um den Bauch zu füllen, ohne auch nur den geringsten Hunger zu verspüren. Einsamkeit, Langeweile, Müdigkeit, Angst, Wut oder Beziehungsstress sind nur einige davon. Um nicht von essbarem Zeitvertreib wie der Stadionwurst zu reden, in die nur aus Freude oder Frust am Spielstand gebissen wird.         

Die Zeiten großer Hungersnöte sind vorbei. Es ist für alle was da. Nur kommt es eben nicht überall an, wo es hinkommen sollte. Aber dass in besseren Restaurants opulent aufgetischt wird, während draußen auf den Straßen schlecht gekleideten Leuten der Magen knurrt, ist heutztage auch in reichen Industrienationen völlig normal. Ohne Suppenküchen, Tafeln und ähnliche Einrichtungen hätten Bestattungsunternehmen gewiss noch viel mehr als in der schlimmsten Pandemie zu tun. Dass wir überhaupt (noch) leben verdanken wir übrigens nur einer im wahrsten Sinne des Wortes “systemrelevanten” Lebensmittelindustrie. Würde sie von einem Tag auf den anderen ihren hocheffizienten Produktionsbetrieb einstellen, müssten wir alle innerhalb kürzester Zeit ins Gras beißen.   

Statt des nunmehr weitgehend in Schach gehaltenen Hungertods grassiert heute jedoch eine Todesursache, die wie eine teuflische Parodie des Verhungerns anmutet. Wir fressen uns zu 

 

 

 

 

 

 

Tode! Übergewicht und Fettleibigkeit fordert weltweit erwiesenermaßen schon seit Jahren mehr Tote als Unterernährung. Womit wir eigentlich noch leben könnten, wenn wir nicht gleichzeitig unsere Lebensgrundlagen vernichten würden. Beim gegenwärtigen Zustand unseres Planeten bedarf es keiner langen Erklärungen mehr um zu verstehen, dass nur eine kritische Überprüfung unserer Ernährungsgewohnheiten unser Überleben sicherstellen kann. Was tun? Der einfachste Ausweg aus einer immer dringlicher werdenden Problematik des Essens wird in der biblischen Idee von der Speisung der Fünftausend illustriert. Ihr Nachteil besteht freilich darin, dass sie nicht satt macht.

Um satt zu werden, muss etwas getan werden. Weshalb ja auch Gott mit seinem “macht euch die Erde untertan” die nicht aus der Welt zu schaffende Notwendigkeit zum Zugriff auf irdische Resourcen vor Augen führte. An denen sich die Menschheit allerdings vergriffen hat. Mit katastrophalen Folgen. Eine zeitgemäße Variante dieses Herrenworts müsste daher lauten “macht euch der Erde untertan”. Würden wir es tun, wüssten wir auch wie und was wir essen sollen, so dass die Welt nicht vor die Hunde geht. Möglichkeiten zu verantwortungsbewusster Ernährung  gibt es zuhauf. Sie lassen sich jedoch nicht verwirklichen. Auf jeden Fall nicht in einem Ausmaß das erforderlich wäre, um im Einklang mit unserem Planeten zu leben.

Was uns abhält es zu tun ist die Tatsache, dass wir in einer Fressfalle leben, aus der wir nicht entkommen können. Bildlich gesprochen ist der Mund zusammen mit dem Kauapparat ein Hohlraum, in dem die Aneignung von zweckdienlicher Nahrung stattfindet. Zu mehr ist der Mund in evolutionärer Hinsicht nicht vorgesehen. Wählerisch feinschmeckerische Genussfähigkeit ist eine nicht überlebensnotwendige Sache, über die nur wenige Menschen verfügen. Und die sie unter ihresgleichen in Feinschmeckerlokalen oder bei privaten Zusammenkünften pflegen. Die Münder der meisten Menschen sind hingegen nichts weiter als blosse Vollzugsorgane der  Verschlingungslust.

Die ursprünglich dadurch entstand, dass in grauen Vorzeiten immerzu eine Knappheit an Nahrung herrschte. So dass unsere Vorfahren in ständiger Angst lebten beim essen “zu kurz” zu kommen. Weshalb sie kämpferische Maßnahmen ergriffen um bei der Nahrungsaufnahme anderen zuvorzukommen. Daran hat sich bis heute im Grunde genommen nichts geändert. Wovon das Verhalten der Verschlinger am Hotel-Buffet zeugt: Sich vordrängeln, dem anderen was wegschnappen, den Teller bis zum geht nicht mehr beladen, mitgebrachte Plastiktüten mit Fleischstücken füllen usw.               

Trotz Überfluss an Nahrung wird gefressen als ob Nahrungsknappheit unmittelbar bevorstünde. Daran lässt sich mit dem moralisch erhobenen Zeigefinger nichts ändern. Überdies machen Vorschläge zu verantwortungsvoller Ernährung nicht nur in ethischer, sondern auch finanzieller Hinsicht die Rechnung ohne den Wirt. Viele würden ja durchaus lieber mit einem guten Gewissen statt mit Gewissensbissen essen. Aber eben nur dann, wenn dafür nicht extra bezahlt werden müsste. In einem Wort: Der Mensch isst, wie er ist…

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