I bought you mail order/My plain wrapper baby/Your skin is like vinyl/The perfect companion…/De luxe and delightful/Inflatable doll…/Immortal and life size/My breath is inside you/I’ll dress you up daily… (Roxy Music – In every dream home a heartache -)
Der Mensch ist das Wesen, das alles viel komplizierter macht als es in Wirklichkeit ist. Tiere geben bei Bedarf Brunstschreie von sich, während der Mensch sich nach Liebe sehnt, gedankentief von Liebe spricht, und wohl kaum von etwas anderem als von der Liebe singt. Wobei es sich um eine Sache mit begrenzter Haltbarkeit handelt. Sobald sie voll entbrannt ist, ist sie meistens auch schon wieder auf dem Rückzug. Nicht ohne dabei in Schlafzimmern gefühlsselig flackernde Kerzen zu löschen. Im Licht einer zunehmenden Ernüchterung werden daraufhin erste Zweifel an der angenommenen Unübertrefflichkeit des geliebten Menschen wach. Immerhin sehen Liebende anfänglich ja immer nur das voneinander, was sie ineinander hineinträumen. Treten aus diesem erotisch wohligen Dunstschleier Personen aber
erst einmal so hervor wie sie tatsächlich sind, wird aus jeder Liebe zwangsläufig ein Beziehungsalltag. In dem zwischenmenschliche Instandhaltungsarbeiten für die Fortdauer der Beziehung sorgen müssen. Was zur Dauerbelastung mit ohnehin schon anstrengenden Berufstätigkeiten zusätzliche Schwierigkeiten mit sich bringt. Die früher oder später häufig das Ende vormals beglückender Zweisamkeiten herbeiführen.
Auch wenn das etwas zu schematisiert dargestellt sein sollte stellt sich dennoch die Frage, ob romantische Liebe, so wie sie bisher empfunden wurde, überhaupt noch mit Grundstimmungen heutiger Welt- und Lebensgefühle in Verbindung stehen kann. Es sieht eher nicht danach aus! Statistischen Angaben zufolge entscheiden sich heute schon ein Drittel aller Frauen, und etwa 40% aller Männer gegen die Zweisamkeit. Dieser Trend wird dadurch bestätigt, dass der Zeitgeist nicht zu längeren Beziehungen, sondern eindeutig zur schnellen Nummer tendiert. Dem spontanen, ganz unverbindlichen Sex für zwischendrin. Woraufhin, so als ob nichts gewesen wäre, problemlos wieder zur Tagesordnung auseinander gegangen werden kann. In einer engeren Bedeutung modern, ist das freilich nicht.
Miteinander zusammenlebende Paare sind keineswegs, wie gerne angenommen wird, der Ursprung menschlicher Gesellschaften. Noch im ersten vorchristlichen Jahrtausend war auch in unserem Kulturkreis Promiskuität, also sexuelle Kontakte mit häufig wechselnden, oder mehreren Partnern gleichzeitig, weitaus mehr Regel als Ausnahme. Der griechische Geschichstschreiber und Völkerkundler Herodot (480 v. Chr. – 420 v. Chr.) berichtet von Gepflogenheiten , bei denen Swinger leuchtende Augen bekommen würden. Von Männern, die nur kurz ihren Stock wegstellen, wenn sie es mit einer Frau machen, und von Frauen, die sich neben der Hausarbeit jedem Mann hingeben der ihnen zusagt. Händchenhaltend umher zu schlendern, oder sich
beim Sonnenuntergang ewige Liebe schwörend in die Augen zu schauen gehört zu einem Verhalten, das im Altertum nur elitären Schichten mit viele Freizeit bekannt war. Die meisten konnten sich Liebe allein schon aus Zeitmangel nicht leisten, und für viele will sie auch heute nicht mehr so richtig in die Welt passen.
Lieber die richtige Puppe im Bett, statt Probleme mit der Liebe
Die Liebe ist tragisch, weil sie uns in ihren Bann zieht, die Ehe hingegen dramatisch, weil sie uns aneinander bindet. Vereinfachend gesagt: Zweisamkeit ist unauflöslich mit Beziehungsstress verbunden. Wer ihm von Anfang an ausweichen will, einer Achterbahnfahrt infragekommender Gefühle ausweichen möchte, vor moralischen und finanziellen Verpflichtungen zurückschreckt, braucht heute dennoch nicht auf ein erfülltes Sexleben zu verzichten. Wozu nicht unbedingt die Anwesenheit eines anderen Menschen erforderlich sein muss.
Sexpuppen, manchmal auch Liebespuppen genannt, sind künstliche Frauen, die Männern in den eigenen vier Wänden sowohl für private Zweisamkeit, als auch für alle gängigen Sexpraktiken jederzeit und willig zur Verfügung stehen. Sexpuppen sind Dinge, die vom ehemals ekligen Schmuddel-Image aufblasbarer Gummipuppen in ästhetisch ansprechendere Dimensionen vorgedrungen sind. Obwohl ihre Besitzer sie (noch) nicht ins Kino, Restaurant, oder im Flieger in den Urlaub mitnehmen, stimmt ihr Erscheinungsbild zumindest bei oberflächlicher Betrachtung mit
demjenigen von richtigen Frauen weitgehend überein. Bis auf selbstständige Bewegungsabläufe und einer angeborenen Stummheit ist an ihnen alles dran, was wollende Männer von Frauen wünschen. Wobei sich moralisierende Zeigefinger nach dem Prinzip “besser Puppen im Schrank, als Leichen im Keller” erübrigen.
Nach Angaben der Hersteller enthalten sie ein beliebig verstellbares Metallskelett.
Das mit einem weichen, menschlicher Hautstruktur nachempfundenen Kunststoff umgeben ist. Sie sind in allen erdenklichen Variationen erhältlich: afro-dunkelhäutige, asiatische, mollige, schlanke, junge und ältere Gespielinnen für leidenschaftliche Momente. Selbstverständlich stehen alle gängigen Frisuren und Haarfarben zur
Wahl. Ob große oder kleine Busen, besonders lange oder kürzere Beine bevorzugt werden, es gibt nichts was nicht wunschgemäß angefertigt werden könnte. Nicht zuletzt auch erwünschte Beschaffenheiten jenes Körperteils, das zur Herbeiführung möglichst “gefühlsechter” Wonnen von größter Bedeutung ist. Bis es zum Moment der Momente kommen kann, muss jedoch mit zwei- bis dreiwöchigen Lieferzeiten gerechnet werden. Die allerdings mit einem Besuch im Sexpuppen-Puff verkürzt
werden können. In Japan und den USA gibt es derartige Einrichtungen schon länger, und auch hier erfreuen sie sich wachsender Beliebtheit. “Freier” erhalten dabei Gelegenheit schon mal probehalber die Eigenschaften von Puppen zu testen, deren Anschaffung für den Hausgebrauch in Erwägung gezogen ist.
Wenn zum Preis zwischen 1500 Euro und 4000 Euro an der Haustür ein längliches Paket abgegeben wird, können lang gehegte Träume endlich wahr werden. Ab sofort verblassen gegenüber dem entzückenden Inhalt des Pakets die Attraktionswerte
real existierender Frauen. Für die wahre Puppenliebhaber ohnehin nur ein müdes Lächeln übrig haben. Allein schon ein kurzer Blick auf beispielsweise Doris, die verführerische Blondine, macht schlagartig klar, dass sie offenkundig einiges zu bieten hat, was andere Männer an ihren Frauen gerne hätten. Sexpuppenbesitzer sind obendrein in der glücklichen Lage von ihren Gefährtinnen nicht mit Gefühlen oder irgendwelchen Erwartungen konfrontiert zu werden. Sie müssen auch nicht treu sein, oder so tun als ob. Gelegentliche Seitensprünge zu anderen Puppen werden klaglos toleriert. Selbst das Einverständnis zum Gruppensex erfordert keine
Überredungskünste. Falls zu Weihnachten oder zum Geburtstag einem besonderen Herzenswunsch nachgegeben wurde, darf vielleicht Annika, das nette Mädchen von nebenan ausgepackt werden. Möglicherweise liegt aber auch Minnie, das neckische Girl mit dem gewissen Etwas, oder Delilah, die brasilianische, heißblütige Verführerin im Karton.
Fragt sich nur für wen. Wer schafft sich nach und nach einen ganzen Harem mit Sexpartnerinnen an? Es dürften dafür zunächst einmal Behinderte in Frage kommen, die in großen sexuellen Nöten leben müssen. Wohl auch Männer, denen der Kontakt zum anderen Geschlecht schwerfällt. Wobei zu hoffen ist, dass zum Kundenkreis auch Gestörte gehören, die ihren Hass auf Frauen lediglich an Sexpuppen ablassen. Grundsätzlich aber werden es ganz normale Männer sein, die nicht suchen, sondern im Einklang mit ihren Lüsten und Launen in den Katalogen der Hersteller unmittelbar fündig werden wollen. Männer, die im Beisein ihrer Traumfrauen Pizza essen und Tatort gucken, und für die schönste Zeit des Tages was passendes ins Bett tragen. Gewisse Mühen sind mit Sexpuppenbesitz allerdings doch verbunden. Sie müssen gereinigt und gepflegt werden. Außerdem wollen sie hin und wieder neu eingekleidet und mit mit Dingen aus der Parfümerie beschenkt werden.
Sexpuppen sind ein teils erheiterndes, teils überaus faszinierendes Phänomen. Das im Hinblick auf eine fortschreitende Antiquiertheit menschlicher Betätigungen deutlichere Züge annimmt. Menschen werden in vielen Bereichen zunehmend durch Technik ersetzt. Vollautomatisierte Produktionsabläufe verrichten in Fabriken was früher Arbeiter taten. In Lagerhallen räumen Roboter Regale ein. Ehemals spezifisch menschliche Fähigkeiten wie Denken und Sprechen sind erfolgreich in Technik ausgelagert. Kommunikation mit Behörden erfolgt oftmals ausschließlich nur mit sprechender Elektronik. Autos können selbstständig ans Ziel kommen, und für die Kriege der Zukunft sind mit künstlicher Intelligenz ausgestattete, selbständig über Leben und Tod entscheidende Kampfmaschinen einsatzbereit. Was gegenwärtig stattfindet entspricht einer technischen Nachaußensetzung des Menschen.
Charakteristisch dafür sind Dinge wie das virtuelle Instagram-Model Lilmiquela. Obwohl es die junge Dame in Wirklichkeit gar nicht gibt, hat sie über eine Million Follower. Ein Unterschied zu Influencern aus Fleisch und Blut ist kaum noch erkennbar. Als technisches Zeichen der Zeit lässt Lilmiquela die Heraufkunft einer neuartigen Gefühls-Welt erahnen, in der Sexpuppen nicht mehr als Frauenersatz gebraucht, sondern aufgrund ihrer faszinierenden Künstlichkeit geliebt werden.
Ob damit die Heraufkunft eines Posthumanismus beginnt bleibt abzuwarten. Gedanken zur zunehmende Einheit von Mensch und Technik werden im Beitrag “Die Auferstehung des Menschen jenseits von Fleisch und Blut” erörtert
https://good-looking.blog/die-auferstehung…/
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Sexpuppen sind in Ästhetik und Kulturwissenschaften ein vernachlässigtes Thema. Literatur dazu gibt es kaum. Die meisten der hier verwendeten Fotos sind Arbeiten des dänischen Fotografen Benita Marcussen, der seit 2011 Sexpuppenbesitzer besucht.