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Moderne Neandertaler mit Autoschlüssel, Sonnenbrille und Handyvertrag
Falls wir jemals in Gottes Hand gewesen sein sollten, hat uns der Herr an der Schwelle des dritten Jahrtausends aus seinen Händen in die Hände der Technik übergeben. Worüber man sich jedoch keine Sorgen machen muss. Hat doch so wie Gott, der uns Wege zur Erlösung aus dem menschlichen Jammertal aufzeigte, auch die Technik wirklich Großes mit uns vor. Und im Gegensatz zum Herrn, den man nie an seinen Taten messen konnte, liefert die Technik weit mehr als sie verspricht. Indem sie nichts Geringeres als die totale Befreiung aus Unzulänglichkeiten unserer leiblichen Existenz vorantreibt.
Im vorigen Jahrhundert waren Forschung und Technik sowohl auf Verbesserungen, als auch auf effektive Methoden zur Auslöschung menschlichen Lebens fokusiert. Atombombe, “Pille” und Fernsehen waren weltbewegende Errungenschaften technisch-wissenschaftlicher Kreativität. Die je nach Standpunkt bejubelt oder verteufelt wurden. Heute sind Informatik, Gentechnik und Molekularbiologie, vor allem jedoch künstliche Intelligenz die wichtigsten Gebiete technischer Betätigung. Neben dem Erschaffen ehemals genuin menschlicher Fähigkeiten wie Denken und Sprache, werden zunehmend auch Bausteine des Lebens technisch kopiert.
Technik ist heute nicht mehr nur “da draußen”, sondern auch an uns dran und in uns drin. Fitness-Tracker und elektronische Fußfesseln sammeln und übermitteln Daten. Mit Minicomputern ausgestattete Brillen können das soziale Umfeld des Trägers ausspähen. Im Inneren des Körpers waren es am Anfang nur Herzschrittmacher, die durch Taktvorgaben erlahmendes Leben wieder auf die Sprünge brachten. Heute können durch Zugriff auf
künstliche Organe und Zellen aus der Petrischale, und teilweise auch schon aus dem 3D-Drucker, nicht mehr funktionierende Körper mit Ersatzteilen versorgt werden.
Was wir noch vor 50 Jahren waren, sind wir heute schon längst nicht mehr. Inspektor Derricks Kult-Spruch: “Harry, fahr schon mal den Wagen vor” gehört in eine Zeit, als man zwischen Harry dem Menschen und dem Wagen als Ding der Technik problemlos unterscheiden konnte. Bedeutend schwieriger aber wird die Sache hinsichtlich des Physikers Stephen Hawking. Der an Lateralsklerose erkrankt war,
und dem es nicht möglich gewesen wäre ohne ständigen Anschluss an seine Maschine wissenschaftliches Licht ins Dunkel des Universums zu bringen. Man kann den angedeuteten Vergleich folgendermaßen zusammenfassen: Um Mensch zu sein musste Harry nicht den Wagen vorfahren, während jedoch die Maschine ein unauflöslicher Bestandteil des Menschen Hawking war.
Obwohl es sich hierbei um einen Einzelfall handelt, dürfte dennoch erkennbar sein, dass herkömmliche Unterschiede zwischen Mensch und Technik verschwinden. Sie
lösen sich auf weil wir mit Technik immer mehr verwachsen. Wie Zweige einer von uns selbst erschaffenen Natur wächst Technik in uns hinein. Wobei eine Einheit von Mensch und Technik entsteht. Gentechnisch veränderte Organismen sowie Gehirn-Computer-Verbindungen werden daher als technologische Singularität bezeichnet. Die früher oft aufgeworfene Frage ob der Mensch die Technik, oder Technik den Menschen beherrscht ist heute nicht mehr zeitgemäß. Schließlich geben Fort-Schritte hin zu einer Technik am Menschen einen eindeutigen Wink wie es mit uns weitergeht.
Ob es uns passt oder nicht, der Mensch, so wie er bisher die Erde bevölkerte, ist ein Auslaufmodell. So etwas ähnliches wie ein neuer Neandertaler mit Handyvertrag und Rentenanspruch. Der durch einen ganz anderen Menschen abgelöst wird. Durch einen technisch modifizierten Menschen der nach uns kommt, und als technischer Nachmensch eine nachmenschliche Welt erschaffen wird. Das sind zugegeben keine romantischen Aussichten. Außer der sofortigen Abschaffung avancierter Technik gibt es alledrings nichts, was den Auftritt des Nachmenschen, und damit unseren Abgang von der Weltbühne verhindern könnte. Was sich anhand eines kurzen Ausflugs in die Philosophie der Technik nachvollziehbar begründen lässt.
Erinnern wir uns zur Einstimmung zunächst einmal daran, dass Hegel (1770 – 1831) beim Gang der Welt eine Selbstentfaltung des Geistes am Werk sah. Die sich aus bescheidenen Anfängen zur Vervollkommnung entwickeln würde. Natürlich muss das beim gegenwärtigen Stand der Dinge auf dieser Welt unsinnig erscheinen. Eine Welt, die doch viel eher an einen Planeten der
Dummen denken lässt. Dumm ist wer sich nicht zu helfen weiß! Und weil die jetzige Menschheit zwar wortreich, jedoch macht- und hilflos vor ihren selbstgemachten Problemen steht, müsste wohl eher von einer Selbstentfaltung der Dummheit gesprochen werden. Was aber, wenn Hegel am Ende doch recht behalten wird? Indem künstliche Vernunft im technischen Nachmenschen unseren zerstörerischen Dummheiten auf dieser Erde ein Ende setzt? Schauen wir, was dafür sprechen könnte.
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Der Mensch als Vorbild aller technischen Dinge
Im 19. Jahrhundert charakterisierte eine philosophische Anthropologie den Menschen als “Mängelwesen”, das ohne Technik nicht überlebensfähig wäre. In dieser Perspektive erscheint Technik als Prothese. Die es dem Menschen ermöglicht Leistungen zu erbringen, die ihm von der Natur versagt sind. Da uns die Natur nicht zum Fliegen geschaffen hat, wäre das Flugzeug ihre
entsprechende Prothese. Wobei seitlich ausgebreitete Arme als körperliches Urbild zum Fliegen erscheinen.
Der heute nahezu in Vergessenheit geratene Philosoph Ernst Kapp vertritt in seinen “Grundlinien einer Philosophie der Technik” (1877) eine entsprechende These zum Verständnis technischer Hervorbringungen. Die Auffassung, dass alles technische Wirken von Anfang an nie etwas anderes als immer nur eine Nachaußensetzung menschlicher Organe darstellt. Weshalb er seinen Blickwinkel als “Organprojektionstheorie” präsentiert.
Kapp sieht, vereinfachend gesagt, in sämtlichen technischen Hervorbringungen Nachbildungen menschlicher Körperteile. Der primitive Hammer aus der Steinzeit ist
somit als Nachbildung des Unterarms erkennbar. Mit einer zur Faust geballten, und durch einen Stein verstärkten Hand. Der gesteifte Zeigefinger mutiert mit seiner Nagelschärfe in technischer Hinsicht zum Bohrer. Säge und Feile sind den Zahnreihen nachgebildet. Das Gebiss erscheint in der “Beißzange” und in den “Backen” des Schraubstocks. Anhand von Brückenkonstruktionen zeigt Kapp Entsprechungen zum Knochengerüst. Fernglas und Auge. “Pumpe” und Herz. Telegrafendrähte und Nervenstränge. Blutkreislauf und Verkehrs“adern”.
Gerade die Entdeckung des Blutkreislaufs im 17. Jahrhundert, um kurz bei diesem Beispiel zu bleiben, war ja in verkehrstechnischer Hinsicht revolutionierend. Die Funktionsweise von Arterien und Venen wurde von französischen Urbanisten in die Planung von Einbahnstraßen übertragen. Die es vorher nicht gab. Der dadurch “fließend” gewordene Verkehr diente wiederum als Vorbild zur finanztechnischen Erschaffung zirkulierender Kapitalströme. Die eine bloße Anhäufung unbewegter Geldmengen ablösten. Wer Geld hat ist bezeichnenderweise “flüssig”. Man könnte solche Beispiele beliebig verlängern. Stets würden dabei Technik und Kultur als nach außen projezierte Nachbildungen des menschlichen Körpers erscheinen.
Falls Technik bislang tatsächlich eine nach außen projezierte Interpretation des Körpers war, ist sie gegenwärtige dabei zur Idee des Menschen, bzw. zur Idee
seiner Intelligenz vorzudringen. Die technische Nachbildung dieser Idee wäre als Menschen- bzw. künstliche Intelligenzerschaffung die letzte Konsequenz der Kappschen Technikphilosophie.
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Posthumanismus
Wer nach seinem irdischen Dasein in den Himmel kommen darf, wird dort nicht das Bedürfnis empfinden eine Toilette aufsuchen zu müssen. Im Himmel hat der Mensch seine sterbliche Hülle hinter sich zurückgelassen, um als geistiges Wesen in höherer Gemeinschaft mit seinem Schöpfer zu leben. Die zeitgemäße Variante dieser Vision findet im Posthumanismus ihren Ausdruck.
Es handelt sich dabei um eine Denkrichtung, die traditionelle Konzeptionen des Menschseins hinterfragt. Im Posthumanismus wird die Überwindung gegenwärtigen menschlichen Lebens favorisiert. Es wird die Auffassung vertreten, dass die biologische Menschheit den Gipfel ihrer Evolution schon erreicht hat. Dass es mit uns nicht mehr weiter vorwärtsgehen kann. So dass der nächste, menschlichere, vernünftigere Entwicklungsschritt jenseits von Fleisch und Blut mit künstlichem Bewusstsein vonstatten geht. Eine Entwicklung, die sich jetzt schon in Beziehungen ankündigt, die im wahrsten Sinne des Wortes als nachmenschlich charakterisiert werden können
Obwohl im Kopf künstlicher Frauen noch keine künstliche Intelligenz waltet, werden sie von Männern zwar überwiegend zum Sex gebraucht, gleichzeitig jedoch gemäß einem more real than reality itself aufgrund ihrer faszinierenden Künstlichkeit geschätzt. Und wohl eben deshalb auch geliebt. Man sieht, es muss von Mensch zu Mensch nicht immer der Mensch aus Fleisch und Blut sein! Der uralte Traum von der Befreiung des Menschen aus seinem anfälligen Körper kann durch Technik verwirklicht werden. Wobei nicht auszuschließen ist, dass sich dabei auch eine friedfertigere, und im Einklang mit unserem Planeten stehende Menschheit heranbilden wird.
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