Mal ehrlich! Was ist denn so schlimm daran, wenn wegen dem verfluchten Virus und damit verbundenen Einschränkungen schon wieder mal keine rechte Vorfreude aufkommen will? Selbst wenn wir am Heiligen Abend nicht mit Maske unterm Tannenbaum sitzen müssen, drängt sich dennoch die Frage auf, ob denn das Weihnachtsfest auch in wenigstens wieder halbwegs “normalen” Zeiten überhaupt ein Grund zur Freude sein kann? Machen wir uns da möglicherweise etwas vor? Wenn man Freude als einen Gemütszustand auffasst, der mit Vergnügen und Wohlbefinden einhergeht, wird man Weihnachten mit anderen Augen sehen müssen: Als das wohl einzige Fest, an dem man sich erst dann wirklich freut, wenn es wieder vorbei ist.
Tatsächlich wird man bei nüchterner Betrachtung nicht umhin können, die angeblich besinnlichste Zeit des Jahres als schrecklichste Zeit des Jahres einzustufen. Da ein Bild manchmal mehr als tausend Worte sagt, möchte ich diese herzlos anmutende Einschätzung durch einen kurzen Blick auf die Gesichter einiger vollgefressener Menschen illustrieren. Die trotz gegenseitiger Abneigung in weihnachtlich erzwungener Einträglichkeit, ähnlich wie Hühner auf der Stange, nebeneinander auf dem Sofa sitzen. Und dabei eher lustlos an Weihnachtsgebäck knabbernd, zusätzlich zu ihrem bleiernen Völlegefühl, und nur mühsamst unterdrückter Gereiztheit an betont weihnachtlichen Fernsehsendungen leiden.
Diese Hölle wirft ihre Schatten voraus, wenn Anfang November in den Auslagen der Geschäfte die ersten Tannenzweige und Christbaumkugeln zu sehen sind. Ein Anblick, der anfänglich nur beiläufig, und bei gelegentlich spätsommerlich wirkenden Temperaturen nicht ohne Unmut zur Kenntnis genommen wird. Ähnlich wie nebensächlich erscheinende Gesundheitsbeschwerden. Die aber an die Möglichkeit einer beginnenden Erkrankung denken lassen. Und so wie bei stärker werdenden Krankheitssymptomen zwangsläufig der Weg zum Arzt führt, führt auch mit zunehmender Weihnachtlichkeit nichts mehr an der Notwendigkeit vorbei, Vorbereitungen fürs Fest zu treffen.
Wobei zunächst einmal Gedanken an Geschenke im Vordergrund stehen. Es bildet sich dabei nach und nach eine Gefühlslage heran, in der Wohlwollen und Großzügigkeit von der lästigen Verpflichtung überlagert werden, wieder einmal wenigstens etwas halbwegs passendes finden zu müssen. Von Pflicht zu sprechen ist im Hinblick auf Weihnachtsgeschenke nicht falsch. Wer Pflichtgefühl hat, ist vom Vorsatz erfüllt das zu tun, was in Anbetracht gegebener Umstände ohne wenn und aber getan werden muss. Und das ist an Weihnachten nun mal der
Erwerb von Geschenken. Das wird erwartet. Vor allem von Kindern. Die ja dem Moment der Bescherung mit wachsender Ungeduld entgegenfiebern. Zwar kann Familienmitgliedern, Freunden und guten Bekannten mit betont offenem Blick verkündet werden, wegen der schreienden Not auf der Welt “dieses Jahr mal nichts” zu schenken. Allerdings führt dieser durchaus vernünftige Entschluss meistens zu noch viel problematischeren sozialen Konsequenzen als das problematischste Geschenk. Vor allem dann, wenn man selbst beschenkt wird. Nichts zu schenken bringt Unheil!
Da sich die Auswahl von Geschenken schon in vorangegangenen Jahren alles andere als einfach erwies, ist der Schwierigkeitsgrad neuerlicher Anforderungen nochmals beträchtlich gesteigert. Beim Kopfzerbrechen übers passende Geschenk schleicht sich daher oft die panikartige Befürchtung ein, vielleicht nicht das zu finden, was dem Geschmack und angenommenen Ansprüchen infragekommender Personen gerecht wird. Hinzu kommt; je größer der ins Auge zu fassende Personenkreis, desto umfangreicher die Problematik. Bei allen Erwägungen ist schließlich auch darauf zu achten, den materiellen Wert der Sachen mindestens auf Vorjahresniveau zu halten. Weniger dürfen sie auf gar keinen Fall kosten. Das würde bei den Beschenkten Zweifel am Stand der persönlichen Wertschätzung hervorrufen.
Dass die alljährliche Suche nach Geschenken nicht mit Freude am Schenken, wohl aber mit wachsendem Unbehagen vonstatten geht, liegt normalerweise auch an höchst unerfreulichen Begleitumständen. Die für den Handel freilich umso erfreulicher sind. Das größte Geschäft des Jahres, das bis zu einem Drittel des Jahresumsatzes erwirtschaftet, wird schließlich immer dann gemacht, wenn sich auf festlich geschmückten Fußgängerzonen die
Ärsche reiben. Wer sich nach dieser grotesken Normalität zurücksehnt sollte bedenken, dass im heillosen Gewimmel der Geschäfte die vielgepriesene “Kunst des Schenkens” von einer kräftezehrenden Übung in Selbstberrschung verdrängt wird. Angestrengt schnaufenden Menschen vor Kassen in überheizten Geschäften sieht man es an, dass ihnen die Mitwirkung im Pflichtprogramm des Weihnachtstrubels einiges abverlangt. Kein Wunder, wenn dann zu Hause erschöpfte Nerven blank liegen. Zumal der wahre Anlass für die Pflicht des Schenkens an Weihnachten vollkommen unerklärlich ist. Und als Buch mit ärgerlichen sieben Siegeln die Gemüter zusätzlich belastet. Weshalb also der ganze Aufwand? Und weshalb überhaupt Weihnachten?
Das biblische Wintersonnenwende-Märchen vom Jesuskind
Weihnachten hat seinen Ursprung im jahrtausendealten, und überall auf der Welt gefeierten Fest der Wintersonnenwende. Ein Himmelsereignis, das an jenem Tag eintritt, an dem die Sonne senkrecht über dem südlichen Wendekreis steht. Was zur Folge hat, dass von diesem Tag an die langen Nächte kürzer werden. So dass berechtigter Grund zur Hoffnung besteht, sich bald wieder an einer im wärmenden Licht sich erneuernden Natur erfreuen zu dürfen. Dieser Tag fällt auf den 25. Dezember.
Bei den alten Ägyptern war es Brauch, den Tag der Wintersonnenwende als Tag der neugeborenen Sonne; als Geburt des Lichts zu feiern. In der Nacht des 25. Dezembers traten Würdenträger mit einem Kleinkind vor die feiernde Menge. Das damit als menschgewordener Erlöser aus der Finsternis seinen Geburtstag zugesprochen bekam. Die Römer hatten den 25. Dezember zum Geburtstag ihres unbesiegbaren Sonnengottes Sol ernannt. Auch die heidnischen Germanen feierten an diesem Tag ein Fest, das sie als Jul bezeichneten, was in skandinavischen Sprachen heute Weihnachten bedeutet.
Es liegt auf der Hand, dass frühe Christen den Tag der Wintersonnenwende für ihre Zwecke vereinnahmten. Indem sie die Legende von einem Kleinkind erfanden, dem Jesuskind, dessen Geburt sie gemäß einer uralten Tradition geschickterweise auf eben diesen Tag verlegten. Die biblische Weihnachtsgeschichte, so wie sie am Heiligen, also heilsbringenden Abend nach dem Lukas-Evangelium in Kirchen erzählt wird, ist somit nichts anderes als ein
Wintersonnenwende-Märchen. Selbst wenn es darin heißt: “Es begab sich aber zu der Zeit…” kann daraus kein historischer Tatsachenbericht über die Umstände bei der Geburt eines Menschen hergeleitet werden.
Zum größten Fest des Jahres reifte Weihnachten vom 18. Jahrhundert an heran. Wobei daran zu erinnern wäre, dass die Tradition mit Tannenbaum, bunten Kugeln und der musikalischen Stille-Nacht-Heilige-Nacht Untermalung, erwiesenermaßen aus den Tiefen typisch deutscher Rührseligkeit heraus die Welt eroberte. Eine Befindlichkeit, die in winterlicher Dunkelheit und Kälte, durch gegenseitiges Schenken im flackernden Kerzenlicht des Tannenbaums dramaturgisch gekonnt zu einer Atmosphäre herzerwärmender Ergriffenheit gesteigert wird.
Warum schenken wir? Wir schenken nicht, weil wir schenken wollen. Wir schenken, weil wir schenken müssen.
Zur gesicherten Erkenntnis, dass Menschen sich seit jeher schon gegenseitig beschenkten, hat Sigmund Freud, kühn wie er war, eine verwegene These hinzugefügt. Derzufolge schon das in Windeln gepackte Kleinkind seine Mutter beschenkt. Nämlich mit dem, was es so lange als Teil von sich selbst zurückhält, und erst dann hergibt, wenn es auf’s Töpfchen gehoben wird. Das ist zwar originell und erheiternd, aber zu einer Psychologie des Schenkens nicht zu gebrauchen. Dafür müssen andere Gegebenheiten berücksichtigt werden.
Die ewige Frage ob der Mensch ein im Grunde genommen wolfsähnliches oder lammfrommes Wesen ist, führt am Kern des Menschseins vorbei. Der Mensch ist beides; ein Tier, das mit der einen Hand hasserfüllt tötet, und mit der anderen gönnerhaft schenkt. Selbst wenn sie noch so sinnlos erscheinen, lassen sich Motive zum gegenseitigen Töten relativ einfach erklären. Schwieriger ist die Erhellung jener Beweggründe, die zum gegenseitigen Schenken geführt haben. Über die erstaunlicherweise wenig bekannt ist.
Sie treten zutage wenn man bedenkt, dass der Mensch als soziales Wesen in seinem Tun und Treiben auf andere Menschen angewiesen ist. Wir müssen mit anderen leben, ob wir nun wollen oder nicht. Was ohne eine Anpassung an gesellschaftlich akzeptable Verhaltensweisen nicht möglich wäre. Statt Dinge zu tun, die in soziale Isolation führen, ist es zum eigenen Vorteil besser durch angemessenes, und hin und wieder auch großzügiges Verhalten sich anderen gegenüber als Mitmensch “erkenntlich” zu zeigen.
Das Gegenteil von Großzügigkeit ist der Geiz. Der für Geizige, wie am Beispiel von stinkreichen, aber in elenden Verhältnissen vereinsamt vor sich hin sterbenden Personen zu sehen ist, nichts anderes als nur schmerzliche Nachteile bringt. Geizige wollen nicht wahrhaben, dass ihr verkrampft zurückgehaltenes Geld nichts wert ist, solange es nicht unter Leute gebracht wird. Freud wollte übrigens erkannt haben, dass Lustgewinn an krampfhaft zurückgehaltener Darmentleerung mit Geiz kompatibel ist. Aber lassen wir Freud und sehen der Realität ins Auge.
Vereinfachend gesagt ist der Mensch nichts, solange er anderen nichts gibt! Auch wenn es nur wenig ist. Das heißt, der Mensch schenkt, weil ihm als “Mitmensch” gar nichts anderes übrig bleibt. Wobei Assoziationen zum Leben schenkenden Gott auftauchen, den man sich ja oft mit menschlichen Charaktereigenschaften vorstellt. Und so wie Gott die Wertschätzung seiner Geschöpfe braucht, braucht der Mensch als soziales Tier die Wertschätzung anderer wie die Luft zum atmen. In allen Völkern und Zeiten sind Menschen daher nicht umhin gekommen, geeignete Mittel zum Zweck von sich zu geben. Natürlich könnte geltend gemacht werden, dass wahres Schenken eine uneigenützige Sache ist, oder es zumindest sein sollte. Stellvertretend für diese noble Auffassung seien einige gewiss schöne Worte von Selma Lagerlöf zitiert.
Schenken heißt, einem anderen etwas zu geben, was man am liebsten selbst behalten möchte.
Übersehen wir hier die wohl unfreiwillige, und doch auffällige Nähe zur Freudschen These vom Geschenk des Kleinkinds an seine Mutter. Was man am liebsten selbst behalten möchte, muss zweifellos zum Wertvollsten gehören was man hat. Es wird zudem nicht irgendwem geschenkt werden können, sondern nur Menschen deren inneren Werte der Sache angemessen sind. Wobei aber die Frage offen bleibt, weshalb etwas aus der Hand gegeben werden soll, was man am
liebsten selbst behalten möchte? Die Antwort darauf lässt sich beim griechischen Philosophen Aristoteles ausfindig machen.
So wie Künstler in ihre gelungenen Schöpfungen verliebt sind, sagt der Denker, lieben auch Wohltäter sich selbst in ihren guten Taten. Das heißt, man schenkt was man am liebsten selbst behalten möchte, weil man sich bei der Übergabe des Geschenks noch viel mehr liebt, als die liebgewonnene, verschenkte Sache. Womit der vermeintlichen Uneigennützigkeit in Selma Lagerlöfs Blickwinkel jegliche Grundlage entzogen ist. Dass Geben seliger als Nehmen ist, wird daher nicht ohne Grund gesagt. Gebende stehen besser da als Nehmende; Schenkende besser als Beschenkte. Und weil das so ist, müssen Beschenkte selbst zu Schenkenden werden.
Ist erst einmal der “wenn du mir, dann ich dir auch” Kreislauf eines sich gegenseitig etwas geben müssens in Gang gesetzt, kann er durch nichts mehr aufgehalten werden. Die alljährliche Konsumorgie an Weihnachten beweist das in aller Deutlichkeit.
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