Der Mensch ist das Tier, das unentwegt auf der Suche ist. Jedes individuelle Leben und auch die lange Geschichte der Menschheit selbt, ist im Grunde genommen die Geschichte einer endlosen Suche. Die für unsere frühen Vorfahren mit der Suche nach Wasser, Nahrung und möglichst günstigen Lebensbedingungen begann. Jedoch sind auch Religion, Philosophie, Künste, Wissenschaften und Technik nichts anderes als Suchbewegungen. Durch die inzwischen so verschiedene Dinge wie beispielsweise Gott, Weltformeln, Fußabdrücke der ersten Menschen oder erdähnliche Planeten gefunden wurden. So dass in Anlehnung an Goethes Türmerlied die Stellung des Menschen in der Welt als zum Sehen geboren, zum Suchen bestellt charakterisiert werden könnte.
Ob auf Trödelmärkten nach altem Blechspielzeug, in Geschäften nach Schnäppchen, in schier aberwitzig anmutenden Anordnungen nach Elementarteilchen des Universums, oder auf
Partnerbörsen nach der großen Liebe, es gibt nichts, wirklich nichts, wonach nicht gesucht würde. Es gibt allerdings verschiedene Arten des Suchens. Wird beispielsweise eine Wohnung, ein neuer Arbeitsplatz, oder die Lösung für ein technisches Problem gesucht, verspricht man sich von der gesuchten Sache einen infragekommenden Nutzen. Derartige Nützlichkeitserwägungen sind dem Suchen jedoch nur noch in Ausnahmefällen vorangestellt. Mit Knochenresten der Dinos ist nichts anzufangen. Und worin sollte der Nutzen alter Zeitschriften oder Tageszeitungen bestehen. Who wants Yesterday’s Papers? Nobody in the world!, sinniertenm die Rolling Stones zustimmungsheischend in einem ihrer frühen Songs. Aber die Zeiten haben sich geändert. Zeitungen vom Tag der Geburt sind gesucht. Gesucht ist auch das Album, auf dem der genannte Song zu hören ist.
Bei all der Sucherei ist schließlich die Vermutung nicht mehr von der Hand zu weisen, dass Suchen längst schon als Selbstzweck betrieben wird. Mit offenbar panikartiger Versessenheit. So als ob sich die Welt im letzten Stadium ihrer Leersuchung befinden würde, und schon am nächsten Tag nichts mehr gefunden werden könnte. Bedenkt man, dass die pathologische Steigerung von Suche die Sucht ist, erwecken viele den Eindruck, beim Suchen von einer regelrechten Such-Sucht beherrscht zu sein. Und so wie für Spielsüchtige Spielautomaten, stehen Suchsüchtigen Suchmachinen zur Verfügung. Bei all dem sollte schließlich auch nicht übersehen werden, dass in wohlhabenden Weltgegenden die allermeisten Menschen in vielerlei Hinsicht einfach nur süchtig sind.
Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass natürlich auch nach Dingen gesicht wird, die verlegt, verloren gingen oder gestohlen wurden. Um nicht von der Suche nach Kindern zu reden, die von der Schule nicht nach Hause gekommen sind. Die Suche nach dem weggelaufenen Hund oder der verlegten Brille geht stets mit der Hoffnung einher, zu finden was plötzlich wie vom Erdboden verschwunden zu sein scheint. Nach nicht mehr vorhandenen Dingen wird dann erfahrungsgemäß oftmals auch an Orten gesucht, wo sie normalerweise und vernünftigen Überlegungen zufolge nicht sein können. Nur um keine Möglichkeit auszuschließen wird mit zunehmender Verzweiflung auch an den unmöglichsten Orten gesucht. Wie etwa im hähmisch summenden Kühlschrank nach der verlegten Brille. Die bei der Überprüfung von Haltbarkeitsdaten im Zustand der Zerstreuung zwischen Yogurtbechern abgelegt worden sein könnte.
Gesucht wird gelegentlich jedoch auch an Orten, von denen Suchende wissen, dass das Gesuchte dort nicht gefunden werden kann. Denken wir dabei an die Geschichte vom Hausmeister einer Schule, der Nachts an an einem belebten und dazu gut beleuchteten Platz nach dem Schlüssel der Schule sucht. Von gewitzten Passanten gefragt, ob er denn wisse ihn ausgerechnet hier verloren zu haben, gibt der Mann zur Antwort, dass er keine Lust hätte ihn auf dem dunklen Schulhof zu suchen. Man sieht, nicht nur was man sucht kann man sich aussuchen, sondern auch den Ort an dem man das Gesuchte am liebsten finden möchte.
Freilich, wer im heißen Wüstensand nach einem kalten Bier sucht wird nicht fündig werden. Ähnlich erfolglos muss die Suche nach Dingen verlaufen, die es bei objektiver Betrachtung überhaupt nicht gibt. Nach denen aber dennoch in der nicht aus der Welt zu schaffenden Illusion gesucht wird, dass es sie geben muss. Bezeichnend für diese Art der Suche ist die Suche nach
der großen Liebe. Wobei hoffnungsfroh Suchende, wie Platon in seinem berühmten Text über die Liebe ausführt, einem von höheren Mächten betriebenen Bosheitsexperiment ausgesetzt sind. Waren doch Platon zufolge einander liebende Menschen einstmals kugelgestaltig vereint. Mit dieser idealen Einheit nahm es jedoch ein jähes Ende, als sie aufgrund eines unverzeihlichen Frevels in zwei Hälften geteilt wurden. Woraufhin die nunmehr voneinander Getrennten nach ihrer verlorenen “Hälfte” suchen müssen. Eine Suche, die, wie man weiß, Enttäuschungen mit sich bringt. Der anfängliche Glaube in einem anderen Menschen gefunden zu haben was einem gefehlt hat, weicht ja meistens der ernüchterndn Einsicht, vermeintlich glücklich Gefundenes in den anderen Menschen nur hineingeträumt zu haben. Falls Vereinte nicht so klug sind, und sich achselzuckend mit zu wünschen übrig lassendem Gefundenen zufrieden zu geben, muss die Suche immer wieder von vorne beginnen.
Wie übrigens auch die Suche nach der Wahrheit. Gerne wird angenommen, dass Wahrheit das wäre, was mit einer tatsächlich vorhandenen Realität überinstimmt. Da stimmt aber nicht. Wahrheit ist nämlich immer das, was zur Wahrheit ernannt wird. Und selbst wenn es die größte Lüge ist. Wer aber an die Ernenner angeblicher Wahrheiten glaubt, glaubt auch bereitwilligst ihre Lügen. Wobei auf Donald Trump hinzuweisen wäre, dessen Lüge von der “gestohlenen Wahl” bei seinen Anhängern als unumstößliche Wahrheit gilt. So dass man hierbei von einem besonders eindrucksvollen “Strukturwandel der Wahrheit” sprechen könnte. Noch viel komplizierter als die Suche nach der Wahrheit, oder großen, unvergänglichen Liebe, ist eine Suche nach dem Selbst. Die von einer redseligen Ratgebergilde als Königsweg zur erfolgreichen Daseinsgestaltung
anempfohlen wird. So wie bei der Liebe und der Wahrheit stellt sich auch beim Selbst zunächst einmal die Frage wie man es definiert. Meistens ist mit dem Selbst der innerste Kern des Menschen gemeint. Sein “Ich-Selbst” wie Freud es genannt hat. Gewissermaßen das einzig wirklich existierende Eigentum des Menschen. Von dem gerne angenommen wird, dass es in der Unbeständigkeit des Lebens ähnlich wie ein Fels im Sturm seine Beständigkeit bewahrt. Obwohl das Selbst dabei von großen und kleinen Bruchstücken des Lebens arg mitgenommen und wohl auch zugeschüttet wird. Das jedoch, wie behauptet wird, mittels bestimmter geistiger Vorgehensweisen im Schutt vom mehr oder weniger nebensächlichen Drumherum des Daseins gefunden werden kann. Das mag vielleicht plausibel klingen, ist aber der Realität diametral entgegengesetzt. Immerhin “fließt” alles, wie die Alten wussten. Wenn daher in Welt und Mensch die einzige Beständigkeit in ständiger Veränderlichkeit besteht, kann die Suche nach einem ureigenen, unveränderlichen Selbst nichts zutage fördern. Was allenthalben gefunden wird sind Gefühle, Gedanken, Erlebnisse, Erinnerungen usw. Jedoch kein Selbst.
Stellt sich die Frage, weshalb so intensiv nach dem Selbst gesucht wird. Die Antwort ist naheliegend. Wird immerzu etwas gesucht, müssen Suchende früher oder später vom Verdacht beschlichen werden, beim ständigen Suchen sich selbst verloren zu haben.